Recht Mietrecht Berlin Prenzlauer Berg Fernsehturm (Copyright: istock.com / 3dan3)

Tabubruch Mietendeckel

Zu den zentralen Grundelementen des Miteinanders in der Bundesrepublik Deutschland gehört, dass sich Verfassungsorgane an Recht und Gesetz halten. Spröde gesagt: das Rechtsstaatsprinzip, im Grundgesetz verankert, gilt für alle Verfassungsorgane der Bundesrepublik, im Föderalismus auf Bundes- und Landesebene. Dem Rechtsstaatsprinzip wurde von den Vätern des Grundgesetzes ein so hoher Wert beigemessen, dass es über die sogenannte Ewigkeitsgarantie vor jedem Zugriff durch künftige Gesetzgeber geschützt ist. Will man es aushebeln, muss eine neue Verfassung her.

Ganz anderes sieht es in der gelebten Wirklichkeit aus. Der Rechtsstaat wird durch das Handeln von Parlamenten und Verwaltung immer wieder aufs Neue herausgefordert. Wie weit kann man Regeln verschieben, bis sie nicht mehr rechtsstaatlichen Anforderungen genügen?

In Berlin hat man leider ein neues Level dazu erreicht. Der Gesetzgeber des Landes Berlin ist tätig geworden. Das Abgeordnetenhaus von Berlin hat am 30. Januar 2020 das „Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln im Folgenden auch „Gesetz“)“ verabschiedet. Das Gesetz ist am 22. Februar 2020 im Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes Berlin veröffentlicht worden und nunmehr in Kraft getreten.

Der kalkulierte Verstoß gegen das Grundgesetz?

Der Landesgesetzgeber hat sich zum Erlass eines Gesetzes entschlossen, das nach überwiegender Einschätzung der Literatur weder den formellen noch den materiellen Anforderungen an ein Gesetz genügt und zudem auch noch handwerklich schlecht gemacht ist. Lediglich eine Handvoll Parteigutachten auf Seiten von Senat und Abgeordnetenhaus kommt zu anderen Ergebnissen. Mit der Beschlussfassung gab es von der Landesregierung und der zuständigen Fachsenatorin jeweils ein bemerkenswertes Statement. Der Regierende Bürgermeister gab allen Betroffenen, sowohl auf Mieter- als auch auf Vermieterseite mit auf den Weg, dass man die dadurch entstehende Unsicherheit „mal aushalten“ müsse. Schließlich betrete man „Neuland“.


Die zuständige Senatorin gab mit der Beschlussfassung einen praktischen Hinweis. Aufgrund der unsicheren verfassungsrechtlichen Situation mögen die Mieter*innen der Stadt das durch den Mietendeckel eingesparte Geld erst einmal nicht ausgeben, denn es könne durchaus sein, dass das Gesetz einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standhalte. Zur selben Zeit sprach der Fraktionsvorsitzende der größten Regierungspartei davon, dass der Mietendeckel letztlich ein wunderbares Konjunkturprogramm für die Stadt sei, denn schließlich hätten die Menschen nun mehr Geld für den Konsum zur Verfügung.

Das kommt dabei raus, wenn das Rechtsstaatsprinzip nur noch eine Fußnote bei der Fertigung von Gesetzen ist. Vermieter und Mieter werden in eine Situation gebracht, die ein einvernehmliches Miteinander nur schwer möglich macht.

Normenkontrolle und Einzelverfassungsbeschwerden

Am Ende wird das Bundesverfassungsgericht im Wege des Normenkontrollverfahrens durch Abgeordnete des Deutschen Bundestages darüber entscheiden, wie verfassungswidrig der Weg ins Neuland tatsächlich ist. Eins ist jedenfalls klar: der Tabubruch ist da. Man versucht einmal den Eingriff ins Eigentum und schaut, wie weit man damit durchkommt. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, dass Karlsruhe einem schon aufschreiben werde, was man tun muss, um in das Eigentum einzugreifen und trotzdem den verfassungsrechtlichen Anforderungen zu genügen. Mindestens für künftige Bundesregierungen werde es dann schon eine Bauanleitung geben.

Sollte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz ganz oder in Teilen für verfassungswidrig erklären, tritt diese Wirkung rückwirkend auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes ein. Das Gesetz ist dann ganz oder in Teilen von Beginn an verfassungswidrig und damit unwirksam. Für diesen Fall wird in neu abzuschließenden Verträgen Vorsorge getroffen werden müssen.

Sowohl aus der Mitte des Abgeordnetenhauses als auch aus der Mitte des Deutschen Bundestages konnten bereits die notwendigen Stimmen für das Erreichen des Quorums gesammelt werden. Das Gesetz wird dementsprechend sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene verfassungsrechtlich überprüft werden. Parallel dazu sollen Einzelverfassungsbeschwerden durch betroffene Unternehmen eingebracht werden. Da das Gesetz als Verbotsgesetz ausgestaltet worden ist, besteht die Aussicht auf direkte Verfassungsbeschwerden ohne vorherige Ausschöpfung des Rechtsweges.

Pause für das soziale Mietrecht de BGB

Bis zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit greift das Gesetz tief in bestehende Rechtsverhältnisse zwischen Vermieter und Mieter ein. Das soziale Mietrecht des BGB darf in Teilen in Berlin nicht mehr zur Anwendung kommen. Weder findet der Mietspiegel Anwendung, der im Mai 2019 einvernehmlich mit Verbänden und Senat verabschiedet wurde. Jahrzehnte von Rechtsprechung sind dazu obsolet. Auch die Mietpreisbremse gilt nicht mehr. Die Regeln zur Mietanpassung nach Modernisierung sind außer Kraft.

Die Lage des Objekts spielt nur noch dann eine Rolle, wenn im November die Mieten kraft Gesetzes abzusenken sind.

Grundstruktur des Gesetzes

In der Grundstruktur sieht das Gesetz zwei Säulen vor. Zunächst werden die Bestandsmieten auf dem Stand eingefroren, der zum Stichtag 18.06.2019 vertraglich wirksam vereinbart war. 9 Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes, im November 2020 werden die Mieten automatisch abgesenkt, sollten sie über der vom Land Berlin staatlich festgelegten Höhe liegen. Der Vermieter darf keine höhere Miete fordern oder entgegennehmen. Neuvermietungen dürfen mit dem Inkrafttreten bereits jetzt nur nach der staatlich festgesetzten Preisgrenze vereinbart werden. Modernisierungen dürfen nur noch mit 1 € auf die Miete umgelegt werden. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu ausdrücklich, dass in den nächsten 5 Jahren Modernisierungen nur dann erwünscht sind, wenn mit ihnen energetische Verbesserung oder der Abbau von Barrieren verbunden ist. Andere Modernisierungen sollen unterbleiben.

Verbotsgesetz mit Bußgeldandrohung

Das Gesetz ist als Verbotsgesetz ausgestaltet worden. Verstöße können mit Bußgeldern bis 500.000 € belegt werden. Im Ergebnis heißt das, wer die sogenannte überhöhte Miete entgegennimmt, zum Beispiel, weil der Mieter mit seiner Miethöhe völlig einverstanden ist und seinen Dauerauftrag beharrlich nicht anpassen will, verstößt gegen das Gesetz und lebt mit dem Risiko der Ordnungswidrigkeit.


Das Gesetz stellt die Unternehmen vor schier unglaubliche Herausforderungen. Sie müssen zunächst die Eigentümer ins Bild setzen: Viele, die nicht in der Nähe der Berliner Blase leben, müssen über die Rechtslage aufgeklärt werden. Entschieden werden muss, wie weiter verfahren werden soll. Die Vermieter trifft darüber hinaus eine Vielzahl von Informationspflichten gegenüber Mietern und verschiedenen Behörden des Landes Berlin. Parallel dazu muss die Datenstruktur angepasst werden, um handlungs- und auskunftsfähig zu sein. Basierten bisherige Systeme auf dem Berliner Mietspiegel nebst Mietpreisbremse greift nun die staatliche Preistabelle mit einigen wenigen Zuschlägen für die Ausstattung der Wohnung.

Ein schier unermesslicher Berg an Themen, die in den Unternehmen gelöst werden müssen. Dazu kommt der Beratungsaufwand für Eigentümer und Mieter. Von welcher Vergütung das alles abgedeckt ist? Eine rhetorische Frage.

Bumerang und Dammbruch

Weniger rhetorisch ist die Frage, wer von dem Gesetz profitiert. Versprochen wurde der Stadt, dass Mieten markant sinken werden. Die ersten Analysen zeigen, dass die Mieten vor allem in den Seitenstraßen des Kurfürstendamm oder den hochwertig sanierten Altbauten am Prenzlauer Berg sinken werden. Menschen, die sich in Stadtrandlagen und sozialen Brennpunkten Hoffnung auf eine geringere Mietbelastung gemacht haben, werden in weiten Teilen leer ausgehen. Nicht zu reden von denen, die umziehen müssen und noch weniger freie Wohnungen finden werden.

Das wird für viele ein böses Erwachen geben. Es wird in den nächsten Monaten eine der Hauptaufgaben sein, dafür zu sorgen, dass der Bumerang bei denen wieder ankommt, die ihn geworfen haben: bei den politischen Verantwortlichen der Stadt. Sie haben ein untaugliches Mittel auf den Weg gebracht, das zur Lösung der Probleme komplett ungeeignet ist. Es liegt nicht an raffgierigen Vermietern, dass die Mietpreise nicht sinken. Es liegt am mangelnden Angebot. Nur noch eine Handvoll Unermüdlicher wird das Thema Wohnungsneubau in Berlin künftig wagen. Die Zahlen zu Bauanträgen und Baugenehmigungen befinden sich bereits seit Monaten im freien Fall, die Zahl der noch in Bearbeitung befindlichen Bebauungspläne ist demnächst nicht mehr messbar.

Eine weitere zentrale Aufgabe ist es, in einem juristisch hochkomplexen Terrain die Mitgliedsunternehmen mit Informationen zu versorgen und über das Verbandsnetzwerk den Erfahrungsaustausch zu ermöglichen. Und nicht zuletzt auch Hilfestellung bei Einzelverfassungsbeschwerden zu leisten. Wenn man nicht für sein Recht eintritt, wird aus dem Tabubruch in Berlin ein Dammbruch für die Bundesrepublik.

Der BFW Berlin/Brandenburg stellt interessierten Mitgliedsunternehmen gerne Handreichungen zum Mietendeckel zur Verfügung.

Weitere Informationen:

© 2020 BFW Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen e.V.