Stadtviertel in Aspik – der Milieuschutz in der Diskussion

Es gibt immer mehr Milieuschutzsatzungen – vornehmlich in Berlin, Hamburg und München. Sie sollen Veränderungen der Einwohnerstruktur in abgegrenzten Gebieten verhindern. Dafür nennt das Baugesetzbuch verschiedene Instrumente, z.B. Genehmigungspflichten für Umbauten und Modernisierungen. Nachdem schon immer über die Wirkung solcher Gebiete diskutiert wurde, stehen nun auch die methodischen Entscheidungsgrundlagen für deren Ausweisung in der Kritik.

Eine zweite Toilette in der Wohnung, ein Balkon, ein Fahrstuhl oder die Zusammenlegung von zwei kleinen zu einer großen Wohnung – das alles sind Maßnahmen, die in Milieuschutzgebieten verboten werden können. Hier zeigt sich bereits das Dilemma im Zusammenhang mit der Zielsetzung des Gesetzgebers, durch diese Art des Milieuschutzes die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung erhalten zu wollen. So stellt sich die Frage, ob mehr ältere, alteingesessene Mieter wegziehen müssen, weil sie die Treppe ohne Fahrstuhl nicht mehr bewältigen oder sich die Mieterhöhung nach dessen Einbau nicht mehr leisten können. Ebenso ist fraglich, ob es politisch gewollt sein kann, junge Familien mit Kindern zum Umzug zu nötigen, weil das tägliche Leben auf der Etage ohne Fahrstuhl schlichtweg nicht mehr darstellbar ist – mal abgesehen vom Risiko vielerorts, einen modernen Kinderwagen dauerhaft in einem für jedermann zugänglichen Hauseingang abzustellen.

Auch beim Blick ins Gesetz drängt sich die Frage auf, wie die „Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“ überhaupt erhalten werden kann. Abgesehen vom stadtsoziologischen Phänomen der Segregation, der fortwährenden Entmischung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen, werden schließlich aus Kindern Erwachsene, aus Singles Familien, aus Studenten Arbeitnehmer und aus Arbeitnehmern Rentner, die alle ihre individuellen Anforderungen an das Wohnumfeld haben.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Frage dahingehend beantwortet, dass zu prüfen ist, ob die in Rede stehende bauliche Maßnahme befürchten lässt, dass die Zusammensetzung nachteilig verändert wird. Wie die Kommunen diese Anforderung in die Praxis umsetzen, hat nun das Beratungshaus empirica anhand von rund 50 Gutachten analysiert, die für die Ausweisung entsprechender Milieuschutzgebiete relevant wurden. Den Entscheidungsgrundlagen werden erhebliche methodische Mängel attestiert. Es fehlten definierte Standards, eindeutige Kriterien und eine wissenschaftliche Datengrundlage zur Bewertung von Kriterien wie Aufwertungspotenzial, Aufwertungsdruck und Verdrängungsgefahr. Dieses Ergebnis ist bedenklich, handelt es sich immerhin um nicht unerhebliche, eigentumsrechtliche Eingriffe, die einer nachvollziehbaren Rechtfertigung bedürfen und nicht nur auf Annahmen und Vermutungen basieren dürfen.

Im Ergebnis bleibt der im Baugesetzbuch verankerte Milieuschutz ein zweifelhaftes Instrument, um Mieter vor finanzieller Überforderung zu schützen. Mieterschutz ist Sache des Mietrechts. Darüber hinaus droht stadtentwicklungspolitisch ein städtebaulicher Stillstand, der nicht im Interesse der Allgemeinheit sein kann. Verhinderte Modernisierungen stehen einem zeitgemäßen Wohnkomfort entgegen und die Politik schafft soziale Schieflagen da wo sie eigentlich verhindert werden sollen: „Sie möchten eine Wohnung mit Fahrstuhl und Balkon? Tut uns leid, dann müssen Sie umziehen.“

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