NRW: Neues Qualitätssiegel für Seniorenwohnen

Als das „Qualitätssiegel Betreutes Wohnen für ältere Menschen“ im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW 2004 in einer konzertierten Aktion der Landesregierung (Ministerien für Wohnen und für Gesundheit und Soziales) mit u.a. Architektenkammer, Mieterbund, Landesseniorenvertretung, Verbraucherschutzzentrale, Pflegewirtschaft und den beiden großen Verbänden der Wohnungswirtschaft, insbesondere dem BFW, aus der Taufe gehoben wurde, betraten die Initiatoren Neuland.

Getrieben von der Erkenntnis, dass die Nachfrage nach Service-begleitetem, aber selbstständigen Wohnen mit der stetig wachsenden Zielgruppe älterer Menschen deutlich anstieg, zugleich aber ein unübersehbarer Wildwuchs an diffusen Angeboten im einem wenig transparenten Markt bestand, führte zu dieser Innovation. Der BFW Bundesverband und der Landesverband NRW haben diese Entwicklung vom ersten Tag an tatkräftig sowohl finanziell als auch mit Manpower unterstützt.

Der magische Dreiklang

Der „magische Dreiklang“ aus technischen Anforderungen an den Baukörper (Gebäude), leicht erreichbare Nahversorgungsinfrastruktur (Umfeld) und transparente, faire Vertragsgestaltung für Grund- und Wahlleistungen in der Betreuung (Service) sollte das auf diese Weise definierte Betreute Wohnen kennzeichnen.

Ein strenger, sehr umfassender, im Laufe der Jahre immer wieder den technischen Entwicklungen angepasster und weiterentwickelter Kriterienkatalog, dessen Einhaltung vor Vergabe des Qualitätssiegels von einem unabhängigen Prüfinstitut akribisch überwacht wird, hat sich auch über konkrete Zertifizierungsverfahren hinaus zu einer Benchmark weit über NRW hinaus entwickelt.

Neue Nachfragerstruktur: „Junge Alte“ erobern den Markt

Nun aber zeigte sich mehr und mehr eine Veränderung in der Nachfragerstruktur. Die Bereitschaft, sich mit Fragen der baulichen und konzeptionellen Barrierefreiheit zu befassen, weitete sich über die durch persönlichen Leidensdruck motivierte Zielgruppe 70+ hinaus auf die Gruppe der „jungen Alten“ aus, die ganz bewusst und selbstbestimmt ihr eigenes Alter organisieren wollen.

Da spielen Aspekte wie Infrastruktur für Geselligkeit und gemeinsame Unternehmungen oder Ladestationen für E-Bikes eine weitaus größere Rolle als Notruf, monatlicher Hausbesuch und Verfügbarkeit von Pflegediensten. Der „reife Konsument“ hat also auch das Segment des altersgerechten Wohnens erobert.

Seniorenwohnen = teures Wohnen?

Da wirkt ein verpflichtend abzuschließender Betreuungsvertrag eher als Stigma denn als Vertriebsargument. Angesichts der allgegenwärtigen Debatte über „bezahlbares Wohnen“ hatte das Qualitätssiegel-Kuratorium daher auch zu prüfen, welche Kriterien man angesichts neuer technischer Entwicklungen vielleicht weglassen kann, um Seniorenwohnen nicht automatisch gleich als teures Wohnen zu kennzeichnen.

Stütz- und Haltegriffe im Bad sind solch ein Thema, das „junge Alte“ eher abschreckt. Die Forderung nach einer bautechnischen Vorrüstung für eine spätere Montage macht hingegen Sinn, um die Anpassungsfähigkeit solcher Wohnungen an einen möglicherweise steigenden Unterstützungsbedarf der Bewohner zu behalten und einen möglichst langen Verbleib zu ermöglichen.

Nicht zur Debatte stand die Einbeziehung der „Umfeld-Prüfung“, also der leicht erreichbaren Infrastrukturen im Quartier. Denn darüber sind sich alle Akteure einig: qualitätvolles Seniorenwohnen braucht zwingend Quartiersqualitäten. Der Wunsch nach ruhigem Wohnen im Grünen steht bei der Zielgruppe nicht mehr an erster Stelle.

Novelle der NRW-Landesbauordnung

Die Diskussion um die Novelle der NRW-Landesbauordnung war in diesem Kontext der Taktgeber. Während die alte rot-grüne Landesregierung die Bauherren zwingen wollte, gleichzeitig für Rollstuhlfahrer, Blinde und Gehörlose unbedingte Barrierefreiheit herzustellen – was zu einer enormen weiteren Baukostensteigerung geführt hätte -, kam der Regierungswechsel nach der Landtagswahl 2017 gerade rechtzeitig, um wieder Maß und Mitte einkehren zu lassen, gerade auch im Baurecht.

Ministerpräsident Laschet und seine Bauministerin Ina Scharrenbach legten die bereits beschlossene LBO auf Eis und unterzogen sie einem pragmatischen Nützlichkeitstest. Das Ergebnis war eine in vielerlei Hinsicht abgespeckte und praxisnähere LBO. Keine R-Quote (für zwingend rollstuhlgerecht auszubauende Wohnungen), keine generelle Aufzugspflicht, sondern eine sehr viel praktischere Definition von Barrierefreiheit:  

Barrierefrei sind bauliche Anlagen, soweit sie für alle Menschen, insbesondere für Menschen mit Behinderungen, in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.

(§ 2 Abs. 10 LBO NRW)

Also war es auch für das Kuratorium Qualitätssiegel Betreutes Wohnen eine neue Aufgabe, vor diesem Hintergrund Kriterien zu definieren, die jenseits von sozialer oder pflegerischer Betreuung die wertbestimmenden Faktoren sind. Dabei war klar, dass altersbedingte Einschränkungen des Bewegungsapparates nach wie vor die mit Abstand bedeutendste Mobilitätseinschränkung älterer Menschen ist. Maßvolle Barrierefreiheit also als Basisqualität im Sinne eines „universal design“.

Sind einzelne dieser Bedingungen aufgrund baulicher Restriktionen nicht erfüllbar, müssen angemessene Kompensationen vorhanden sein: Ein Beispiel: ist die Mindestgröße des zur Wohnung gehörenden Balkons wegen bauplanungs- oder nachbarrechtlicher Gründe nicht erzielbar, kann dieses Manko durch eine gut erreichbare, für den allgemeinen Gebrauch bereitgestellte Gemeinschaftsterrasse mit entsprechender Möblierung ausgeglichen werden.

Qualitätssiegel Seniorengerechtes Wohnen NRW

Heraus kam ein neues, „kleines“ Siegel: Das Qualitätssiegel Seniorengerechtes Wohnen NRW, das ab 1. Oktober 2020 vergeben werden soll. Um eine eindeutige Unterscheidung zum etablierten Siegel sicherzustellen, hat das Kuratorium auf das Landeswappen verzichtet.

Neben den Pflichtkriterien für das neue Qualitätssiegel geben vor allem zahlreiche Empfehlungen Fingerzeige, welche Kriterien mit Praxisrelevanz gutes und nicht zwingend teureres Seniorenwohnen kennzeichnen. Wie schon beim „großen“ Qualitätssiegel ist auch hier zu erwarten, dass es sich zu einem Maßstab für intelligentes Seniorenwohnen entwickeln wird.

Der komplette Prüfkatalog ist im Internet frei verfügbar: www.kuratorium-nrw.de

© 2020 BFW Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen e.V.