Ministerialdirigent und Leiter der Abteilung Steuer und Organisation (Steuerverwaltung) im Niedersächsischen Finanzministerium
Durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. April 2018 (BVerfGE 148, 147, BGBl I 2018, 531), mit der das derzeitige System wegen veralteter Bewertungsgrundlagen für verfassungswidrig erklärt wurde, war eine Reform der Grundsteuer erforderlich. Die Reform hat für die Kommunen eine herausragende Bedeutung, da die Grundsteuer zu einer der wichtigsten Einnahmequellen der Kommunen zählt und zur Finanzierung ihrer Aufgaben unverzichtbar ist.
Positiv ist, dass mit der Verkündung des Grundsteuerreformgesetzes innerhalb der gesetzten Frist bis 31. Dezember 2019 nunmehr die Voraussetzungen des Bundesverfassungsgerichts für eine Weitergeltung der bisherigen Grundsteuer bis zum 31. Dezember 2024 vorliegen. Negativ ist, dass die „neue“ Grundsteuer, die ab 1. Januar 2025 greift, weiterhin mehr oder minder am Verkehrswert festgemacht wird und dadurch sehr kompliziert und aufwändig ist.
Zum ersten Hauptfeststellungszeitpunkt auf den 1. Januar 2022 muss der Grundstückseigentümer viele erforderliche Daten (Grundstücksfläche, Wohnfläche, Wohnungsgröße, Immobilienart, Baujahr, Bodenrichtwert) in einer Steuererklärung angeben. Das soll nach den Planungen über das Internetportal ELSTER geschehen, da die hohe Zahl an Neubewertungen von ca. 36 Millionen Objekten überhaupt nur über eine weitgehende Automation praktisch zu bewältigen sein wird.
Jedoch ändert auch dies nichts daran, dass durch die im neuen Recht beibehaltene Anknüpfung am Verkehrswert das Gesetz sehr aufwändig, kleinteilig, intransparent und kompliziert ausgestaltet werden musste. Zugleich trägt es aufgrund der vielfältigen Typisierungen und über statistische Werte abgeleiteten Vergröberungen, ohne die der Aufwand unermesslich geworden wäre, das große Risiko in sich, die verfassungsrechtlich gebotene innere Konsistenz, Logik und Folgerichtigkeit verloren zu haben und deshalb vom Bundesverfassungsgericht erneut als verfassungswidrig verworfen zu werden. So werden z. B. Wohngrundstücke und Nicht-Wohngrundstücke nach unterschiedlichen Maßstäben bewertet und so strukturell ungleich behandelt. Zudem kommt es durch die Immobilien- und Bodenwertsteigerungen bei jeder Hauptfeststellung zu schleichenden Steuererhöhungen.
Der eigentliche Wert des neuen Gesetzes liegt daher vor allem darin, dass die Länder mit der Länderöffnungsklausel die Möglichkeit bekommen haben, an die Stelle des komplizierten und aufwändigen Bundesgesetzes ein besseres, einfaches und transparentes eigenes Modell zu setzen. Nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil ist der Gesetzgeber zumal keineswegs gezwungen, die Bemessung der Grundsteuer am Verkehrswert auszurichten.
Die Chance der Länderöffnungsklausel
Artikel 72 Absatz 3 Satz 1 Nummer 7 und Artikel 125b Absatz 3 Grundgesetz räumen den Ländern die Befugnis zu einer abweichenden Gesetzgebung über die Grundsteuer ein. Bayern hat bereits angekündigt, von dieser Befugnis Gebrauch zu machen und das dort entwickelte Flächen-Modell zur Umsetzung zu bringen. Belastungsgrund ist hier nicht das Prinzip Verkehrswert, sondern das Äquivalenzprinzip, d. h. Grundsteuer ist dafür zu entrichten, dass der Grundstücksbesitzer, weil er in der jeweiligen Kommune sein Objekt innehat, daraus Nutzen ziehen kann.
Das Flächen-Modell typisiert diesen Nutzen über die Fläche. Es nimmt die Größe des Grundstücks und die des Gebäudes zum Maßstab und differenziert darüber hinaus zwischen Grund und Boden und Gebäuden und multipliziert sodann jeweils mit einer Äquivalenzzahl. Außerdem wird mit einer Steuermesszahl noch zwischen Grund und Boden, Wohngebäuden und Nicht-Wohngebäuden differenziert. Das Modell ist damit sehr einfach und für die Bürgerinnen und Bürger sehr leicht nachvollziehbar. Eine Schwäche hat dieses Modell allerdings: Für zwei Objekte der jeweils selben Größe in ein und derselben Kommune wird stets dieselbe Grundsteuer erhoben – egal, ob sich das Objekt innerhalb der Kommune in allerbester Lage oder in einer schlechten Lage befindet. Ein solches Ergebnis wird in weiten Teilen der Bevölkerung Unbehagen auslösen, denn man wird es als unangemessen bzw. ungerecht empfinden.
Diese Schwäche beseitigt das in Niedersachsen entwickelte Flächen-Lage-Modell. Grundgedanke: Typischerweise ist der Nutzen eines Grundstücks auch davon abhängig, an welcher Stelle in der Kommune das Grundstück liegt, d. h. auch die Lage spielt eine Rolle bei der Beantwortung der Frage, wie hoch der Nutzen des Grundstückseigentümers aus dem Grundstück im Vergleich zu einem Objekt in anderer Lage ist. Die Kommune bietet dem Grundbesitzer typischerweise in guter Lage mehr und in schlechter Lage weniger Nutzen, z. B. in Gestalt unterschiedlich langer oder kurzer Wege, der Erreichbarkeit kommunaler Dienste und der Nutzungs-/Lebensqualität. Im Flächen-Lage-Modell werden diese Relationen unter Heranziehung der durchschnittlichen Bodenrichtwerte der im Flächennutzungsplan für eine Bebauung vorgesehenen Fläche (Baufläche) pro Stadtteil in einen Lagefaktor umgesetzt. Die Lagefaktoren spiegeln aber gleichwohl nicht den Wert der Bebauung wider, sondern sie differenzieren für den jeweiligen Stadtteil lediglich die Teilhabe an der kommunalen Leistung durch den Grundbesitz in Abhängigkeit von der jeweiligen Lage.
Oder anders ausgedrückt: Der Belastungsgrund „Teilhabe an der kommunalen Leistung“ wird mit dem Flächen-Lage-Modell noch konsequenter umgesetzt als mit dem reinen Flächen-Modell. Damit wird das beim Bürger im reinen Flächen-Modell entstehende „Unbehagen“ beseitigt.
Da das Flächen-Lage-Modell auf den Berechnungsgrundlagen des bayerischen Flächenmodells aufsetzt und dieses lediglich um einen zusätzlichen typisierenden Faktor (Lagefaktor) ergänzt, der die Lage des Objekts nach Orts-/Stadtteilen differenziert berücksichtigt, führt dies auch nicht zu einer Rechtszersplitterung im Bundesgebiet.
Das Flächen-Lage-Modell ist leicht umsetzbar und enthält keine streitanfälligen Determinanten. Die Kommunen haben ihre Orts-/Stadtteile definiert. Es wird also auf bereits bestehende, unstrittige Strukturen aufgesetzt. Die Information, um welche Orts-/Stadtteile es sich jeweils handelt, kann problemlos an die Gutachterausschüsse geliefert werden, die dann nach den gesetzlich vorgegebenen Maßstäben anhand der durchschnittlichen Bodenrichtwerte die Lagefaktoren ableiten. Der jeweilige Lagefaktor ist somit gesetzlich definiert und wird auf einfachem Wege den einzelnen Grundstücken zugeordnet.
Gegenüber dem Bundesmodell bietet das Flächen-Lage-Modell insbesondere den Vorteil der leichteren Administrierbarkeit und der nur einmalig notwendigen Hauptfeststellung (jeweils ca. 36 Millionen zu bewertende Grundstücke). Das führt für die Länder zu einer erheblichen Einsparung von zusätzlichen Personalkosten.
Fazit
Mit dem Flächen-Lage-Modell steht ein extrem einfaches Modell zur Verfügung, das die Vorteile eines wertabhängigen Modells und eines reinen Flächenmodells vereinigt und gleichzeitig die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts an die Ausgestaltung der Bewertungsregeln einer Steuer beachtet.