In einer öffentlichen Anhörung des Wirtschaftsausschusses am Mittwoch waren sich die acht geladenen Sachverständigen einig über die Notwendigkeit eines verstärkten Bürokratieabbaus. Vor allem schnellere, digitalisierte Prozesse, die auch immer wieder auf ihre Wirksamkeit überprüft werden, könnten den Unternehmen in Deutschland helfen.
Grundlage der Anhörung war ein Antrag (20/6408) der CDU/CSU-Fraktion zum „Abbau überflüssiger und belastender Bürokratie“. Darin fordern die Abgeordneten unter anderem, dass eine sogenannte Bürokratiebremse bei der Einstellung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Bundesverwaltung eingeführt wird. Diese soll bewirken, dass für jeden neuen Beschäftigten eine gleichwertige Stelle an anderer Stelle gestrichen werden muss.
Außerdem will die Unionsfraktion, dass im Bereich des Steuer- und Handelsrechts die Aufbewahrungsfristen für Unterlagen im Einklang mit zeitnahen Betriebsprüfungen deutlich verkürzt werden. „Überflüssige“ Dokumentationspflichten bei Minijobbern sollen abgeschafft werden.
Jörg Bogumil, Inhaber des Lehrstuhls für öffentliche Verwaltung, Stadt- und Regionalpolitik an der Ruhr-Universität Bochum, eingeladen von der SPD-Fraktion, sagte, dass man immer noch zu viel und zu komplizierte Regelungen habe. Durch Praxischecks, die ein „überaus sinnvolles Instrument“ zur Überprüfung bestehender Regelung darstellten, könne man herausfinden, wo nachzusteuern sei. Der Fachmann plädierte für die Einführung von Bürger- und Unternehmenskonten mit digitalen Postfächern, über die eine Vielzahl von Anträgen und Behördengängen erledigt werden könnten. „Wir brauchen da einen Zugang zu allen möglichen Abläufen, das wird auch die Unternehmen entlasten“, so Bogumil.
Lutz Goebel, Vorsitzender des Nationalen Normenkontrollrates im Bundesministerium der Justiz, sprach ebenfalls auf Einladung der SPD-Fraktion. Auch er befand die bereits gestarteten Praxischecks als äußerst sinnvoll. „Der Digitalcheck, der bestehende Regelungen auf ihre Digitaltauglichkeit hin überprüft, ist eine sehr, sehr wichtige Maßnahme“, sagte Goebel. Es sei außerdem elementar, dass sich der Gesetzgeber bei der Erarbeitungen neuer Regularien künftig darüber Gedanken mache, wie die Anforderungen vom Bund über die Länder und Kommunen in die Unternehmen kommuniziert werden.
Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland, eingeladen von der CDU/CSU-Fraktion, forderte, die Berichtspflichten des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes auszusetzen, um Unternehmen zu entlasten: „Das wäre ein wichtiges Signal.“ Der Sachverständige kritisierte, dass im Umweltministerium gerade an einem Verpackungsgesetz gearbeitet werde, obwohl die EU dies auch plane: „Es ist absurd, noch ein nationales Gesetz vorzuschalten, wenn ein EU-Gesetz in der Mache ist“, befand Genth. Er sprach sich hingegen für einen Belastungs-TÜV für bestehende Regelungen aus, um zu prüfen, welche sinnvoll sind. Dieser Test müsse jedoch auch Konsequenzen haben, sagte Genth.
Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga, ebenfalls auf Einladung der CDU/CSU-Fraktion, berichtete, dass viele der Betriebe, die ihr Verband vertrete, von den vielen bürokratischen Vorgaben „manchmal hoffnungslos“ überfordert seien. Hartges nannte die kleinteilige Dokumentation bei der Wareneingangskontrolle, die Speisekarten-Kennzeichnungspflicht oder die Dokumentation der Reinigungsintervalle von WC-Anlagen als Beispiele. Diese Regelungen seien teilweise zu aufwendig, „da kann man aufräumen“, befand die Sachverständige.
Matthias Kullas, Fachbereichsleiter im Centrum für Europäische Politik der Stiftung Ordnungspolitik in Freiburg, eingeladen auf Vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, sprach davon, dass Unternehmen von der Bürokratie entlastet werden müssten, in dem ein „effizienterer Vollzug“ der Regelungen möglich werde. Es müssten zudem „Feedback-Schleifen“ eingebaut werden, um immer wieder zurückzumelden, was verbessert werden könne. „Momentan müssen die Unternehmen zudem viel zu viel Zeit darauf verwenden, herauszufinden, wie sie Regeln überhaupt umsetzen müssen“, sagte Kullas.
Florian Moritz, Abteilungsleiter Wirtschaftspolitik bei der DGB Bundesvorstandsverwaltung äußerte sich auf Einladung der Fraktion Die Linke zu dem Antrag. „Man darf die Wirkung von Maßnahmen zum Bürokratieabbau nicht überschätzen“, sagte er. Diese seien, wie von der Unionsfraktion im Antrag bezeichnet, kein Konjunkturprogramm. Anstatt wie von der Unionsfraktion gefordert, für jede neu geschaffene Stelle eine andere abzubauen müssten aus seiner Sicht mehr Stellen im Bundesdienst geschaffen werden. „Personal ist keine Bürokratie“, sagte Moritz. Im Gegenteil, der Personalengpass an manchen Stellen trage erst dazu bei, dass sich Verfahren verzögerten.
Jens Ulbrich, Leiter des Zentralbereichs Volkswirtschaft der Deutschen Bundesbank, eingeladen von der FDP-Fraktion, berichtete davon, dass es trotz momentan bestehender Rezession voraussichtlich zu einer graduellen Erholung der deutschen Wirtschaft im nächsten Jahr kommen werde. „Die Situation ist nicht so schlecht, wie sie oft dargestellt wird; Deutschland ist nicht der ‚kranke Mann Europas’“, sagte Ulbrich. Dennoch verzögere die Bürokratie die Entwicklung der Wirtschaft, wenn beispielsweise 15.000 Anträge auf Schwertransporte, die auf Genehmigung warten, den Ausbau der Windkraft behinderten.
Urs Unkauf, Bundesgeschäftsführer beim Bundesverband für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft, eingeladen von der AfD-Fraktion, befand, der Antrag der Unionsfraktion gehe „grundsätzlich in die richtige Richtung“. Er gehe jedoch nicht weit genug; so brauche es einen besseren Dialog mit dem Mittelstand. Auch in der Außenpolitik müsse von der Politik mehr kommen. „Das Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz sorgt für massive Verunsicherung“, so Unkauf. Das Gesetz schrecke auch ausländische Unternehmen ab, die in Deutschland investieren wollten.