Verantwortung Baukultur Kleinstadt mit Kirchturm (copyright: istock.com/upungato)

Zukunftsperspektive durch Baukultur

Zukunft hat keine Konjunktur. Sie ist eher mit Befürchtungen als mit Hoffnungen verbunden und viele Menschen haben das Gefühl, dass ihnen die Handlungsmöglichkeiten genommen sind und sie sowieso nichts positiv verändern können, schon gar nicht die Qualität ihres Lebensraumes. Unwirtliche Räume bewirken Entwurzelung und im Ergebnis Frustration – das wusste schon Zille.

Heimat dagegen braucht Orte – Orte des Austauschs, der Kommunikation, der Begegnung. Solche sozialen Kristallisationspunkte benötigen eine bauliche Entsprechung. Plätze und Gebäude prägen Charakter und Identität einer Stadt oder Gemeinde und machen den jeweiligen „genius loci“ spürbar. Das gilt für die große Stadt wie für das kleine Dorf.

Viele Deutsche sind außerhalb der Metropolen zu Hause: Etwa 60 Prozent der Bundesbürger leben in Landgemeinden, Klein- und Mittelstädten. Deren Zukunftsfähigkeit hängt davon ab, wie attraktiv sie sich für Bewohner und mögliche Zuzügler präsentieren, wie gut sie in der Lage sind, ihren „genius loci“ zu erkennen und weiterzuentwickeln. Dabei spielen baukulturelle Maßnahmen eine wichtige Rolle, wie die Bundesstiftung Baukultur in ihrem Baukulturbericht 2016/17 „Stadt und Land“ zeigt.

Im ganzen Bundesgebiet wandern vor allem junge Menschen aus ländlichen Räumen ab. Die schrumpfenden Regionen sind jedoch in weiten Teilen durchaus wirtschaftlich stark und eine arbeitsmarktbedingte Abwanderungsnotwendigkeit existiert nicht. Vielmehr klagen die dortigen Unternehmen über Fach- und Arbeitskräftemangel, der sich wegen der Abwanderung zunehmend verschärft. Die Entleerung ländlicher Räume lässt sich also nicht mit dem viel zitierten Dreiklang von Arbeitslosigkeit, Armut und Abwanderung erklären.

Es ist die Vitalität einer Gemeinde, die neben den strukturellen Eigenschaften über ihre Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit mitentscheidet. Der Grad der Vitalität wird durch die Infrastrukturausstattung und öffentliche Einrichtungen beeinflusst, besonders aber durch die Menschen vor Ort bestimmt. Besonders wichtig ist dabei die (Re-)Vitalisierung des Ortskerns.

Oftmals findet jedoch das Gegenteil statt: Flächenintensiver Neubau am Stadtrand in Form von Einfamilienhausgebieten oder auch Gewerbegebieten nährt den „Donut-Effekt“ – also den Leerstand im Zentrum und die Zersiedlung im Umland. Immer neue Baugebiete an den Ortsrändern können dazu führen, noch halbwegs funktionierende Innenstädte zu beschädigen.

Dennoch weisen derzeit 84 Prozent der Gemeinden neue, flächenverbrauchende Einfamilienhausgebiete aus, wie die Bundesstiftung in einer Umfrage für den Baukulturbericht 2016/17 ermittelt hat. Die Neuausweisungen geschehen, obwohl zwei Drittel dieser Gemeinden in stagnierenden oder schrumpfenden Regionen liegen und ein Drittel sogar Leerstand im Ortskern verzeichnen.

Anstelle gesichtsloser Neubaugebiete sollten Kommunen verstärkt auf städtebauliche Rahmenpläne und gemischte Siedlungen mit angemessenen Gestaltungsregeln setzen, um langfristig ökonomisch und sozial wertbeständige Standorte zu entwickeln. Auch sollten sie in höherem Maße private Bauherren bei Planungs- und Baufragen beraten oder auf kommunalen Grundstücken Projekte initiieren, die den lokalen Wohnungsmarkt bedarfsgerecht ergänzen. Das können etwa Haustypen für Familien, Senioren-WGs, Paare und Alleinstehende in integrierten Lagen sein.

Eine lebendige Gemeinde braucht ein Zentrum, das nicht nur die Bedarfe deckt, sondern auch den Charakter eines Ortes spürbar macht. Die (historische) Baustruktur im Ortskern stellt den Bezugspunkt zur Identität für die Nutzergruppen und Einwohner dar und bildet mit der Einbettung in die umgebende Kulturlandschaft, soweit vorhanden, auch das touristische Potenzial für Gäste und Besucher.

Um diese Vitalität zu erreichen, müssen die wesentlichen Infrastrukturen und die verfügbaren Investitionsmittel zugunsten der Ortsmitte gebündelt werden. Das mag angesichts des Marktgeschehens der letzten zwanzig Jahre unrealistisch klingen, vielleicht sogar naiv. Muss nicht der Nahversorger mindestens 10.000 Einwohner im Einzugsbereich haben und geht deshalb nur als Discounter an der Ortsumgehung? Und mussten nicht viele Gasthöfe und Dorfläden aus finanziellen Gründen schließen? Alles richtig, aber die Recherchen der Bundesstiftung zu guten Beispielen zeigen: Es geht auch anders: Dorfläden und Gasthöfe sind machbar, wenn man zielgerichtet und konsequent vorgeht.

Sogenannte Baukulturgemeinden schaffen mit der Aufwertung der Ortsmitte ein Zeichen für den Neuanfang – symbolisch, aber auch tatsächlich. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen und die wohnungspolitische Förderung des Bundes sollten deshalb auf integrierte Lagenausgerichtet werden, für Kauf und Sanierung, Bestandsumbau, Ergänzungs- und Ersatzneubau. Vorbild ist zum Beispiel das Programm „Jung kauft alt“ aus Nordrhein-Westfalen.

Für alle Baumaßnahmen gilt: Ortsspezifisches Bauen stärkt die lokale Identität, den Charakter einer Stadt und die Identifikation ihrer Bewohner. Denn nicht nur, was saniert oder umgebaut, ergänzt oder neu gebaut wird, ist von Bedeutung für das Stadtbild, sondern auch, wie dies geschieht. Der Einbezug von qualifizierten Gestaltern in Bauvorhaben ist deshalb unbedingt anzuraten: Proportionen, Materialien und Anmutung sind Aspekte, die darüber entscheiden, ob das Stadtbild als angenehm und stimmig empfunden wird – und damit eine hohe Lebensqualität entsteht.

Baukultur kann hier zur entscheidenden strategischen Handlungsebene werden. Häufig braucht es als sichtbares Zeichen eines eingeleiteten Strukturwandels eine bauliche Veränderung im Ort. Das kann der Um- oder Neubau eines zentralen Standortbereichs sein, wie zum Beispiel der Gemeindeverwaltung, eines Bürger- oder Gemeindehauses oder eines Dorfladens oder Dorfgasthofs.

Hier gegen den Trend Zeichen zu setzen, erfordert Initiative und Gemeinsinn. Häufig sind es lokale Akteure wie Vereine oder Einzelpersönlichkeiten, die gute Ideen aufwerfen. Ergänzender Erfolgsfaktor ist dann, dass sich Rat und Bürgermeister diese Initiativen zu eigen machen und konsequent befördern. Die Preisträgergemeinden von Baukultur- oder Architekturwettbewerben sind immer auch Gewinner beim Wettbewerb um Bewohner, Arbeitsplätze und damit verbundenen Zukunftsperspektiven.

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