Die Wohnungsbauwirtschaft steckt in einer tiefen Krise. Nach Jahren des Booms brechen die Baugenehmigungen ein und die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt. Einer der Hauptgründe sind die Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank, die die Finanzierungskosten nach oben treiben. Zudem gab es deutliche Baupreissteigerungen, auch infolge von Materialengpässen und gestiegenen Energiepreise. Die Unternehmen sehen sich einer nie dagewesenen Anzahl von Stornierungen gegenüber. Zudem wird immer häufiger von Auftragsmangel gesprochen. Der Artikel gibt einen Überblick über die aktuell sehr schwierige Lage im Wohnungsbau.
In den Jahren vor dem Beginn der Pandemie erlebte die deutsche Wohnungsbauwirtschaft eine Phase des Booms. Niedrige Zinsen und der akute Wohnraumbedarf in den großen deutschen Ballungszentren sorgten für eine florierende Nachfrage. Institutionelle Investoren wie auch Familien träumten vom deutschen Betongold. Die Preise für Wohnimmobilien stiegen von Monat zu Monat. Für den Wohnungsbau bedeutete dies goldene Zeiten. Die Unternehmen kamen kaum hinterher, ihre Aufträge abzuarbeiten. Die Zahl der Baugenehmigungen und der Auftragseingänge stiegen im Trend kontinuierlich an. Die Geschäfte liefen rund. Dies zeigte sich auch in den monatlichen ifo Konjunkturumfragen. 2018 und 2019 verzeichnete der Klimaindikator für den Wohnungsbau entsprechend Höchststände: in der Spitze lag er oberhalb der 30-Punkte-Marke – erstmals seit Beginn der Zeitreihe 1991. Wenige Jahre später ist die Stimmung im Wohnungsbau am Tiefpunkt. Die Genehmigungszahlen für neue Wohneinheiten lagen im ersten Halbjahr 2023 27,2 % unter dem Vorjahresniveau. Bauherren stornieren ihre Projekte und die Branche klagt immer lauter über Auftragsmangel. Im September 2023 markierte der Klimaindikator mit – 54,8 Punkten einen neuen Tiefststand seit Beginn der Erhebung. Gründe für die dramatische Eintrübung Bereits im Frühjahr 2021 traten infolge des Coronaschocks erhebliche Engpässe beim Baumaterial auf. Durch die Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie war es entlang der Wertschöpfungsketten zu Produktionsausfällen gekommen. Zudem führte die große Unsicherheit hinsichtlich der weiteren Entwicklung dazu, dass die Produzenten konservativere Investitions- und Produktionsprogramme fuhren, wodurch sich das Angebot weiter verknappte. Die Bauwirtschaft erwies sich indes als robust und trotz Pandemie ging es auf den deutschen Baustellen voran. Es kam zu einer Überschussnachfrage nach Baumaterial. Schnittholz, Dämmstoffe, Stahl, Bitumen und andere Produkte waren nicht mehr ausreichend verfügbar. Im Juni 2021 war ein vorläufiger Höhepunkt erreicht: 53,2 % der teilnehmenden Unternehmen im Wohnungsbau klagten über Lieferengpässe.1 Dies war eine beispiellose Entwicklung: In den drei vorherigen Jahrzehnten waren nur sehr vereinzelt Werte oberhalb von 5,0 % ermittelt worden, zweistellige Pro[1]zentwerte waren unbekannt. Nun konkurrierten die mit der saisonal nachlassenden Baukonjunktur in den kalten Monaten verbesserte sich die Verfügbarkeit von Baumaterial, wenngleich auch im Winter 2021/2022 noch an vielen Stellen über Lieferprobleme geklagt wurde. Mit der anziehenden Baukonjunktur im Frühjahr 2022, insbesondere auch infolge des russischen Einmarschs in die Ukraine und den in Konsequenz erlassenen Sanktionen verschärften sich die Probleme wieder. Sowohl Russland als auch die Ukraine waren wichtige Lieferanten für Baustahl. Im Mai 2022 berichteten 58,7 % der Firmen von Materialengpässen, was den bisherigen Höchststand aus dem Vorjahr nochmals um 5,5 Prozentpunkte überstieg. Die hohen Preise für Energieträger verteuerten das in seiner Herstellung oft energieintensive Bau[1]material weiter. Gleichzeitig erhöhte sich die durch[1]schnittliche Dauer von der Genehmigung bis zur Fertigstellung einer Wohneinheit seit Beginn der Lieferkettenstörungen um etwa zwei Monate. Betrug die Abwicklungsdauer im Jahr 2020 noch durchschnittlich 20 Monate, waren es zwei Jahre später 22 Monate (Statistisches Bundesamt 2023a). Seitdem hat sich die Versorgungslage beim Baumaterial aber wieder entspannt: Die Lieferketten haben sich stabilisiert und das Angebot beim Baumaterial konnte ausgeweitet werden. Im September 2023 ist mit 2,4 % der Meldungen kaum noch von Lieferproblemen die Rede, die Preise blieben jedoch vielerorts hoch. Seit Mitte 2021 lagen die Inflationsraten deutlich über dem ausgegebenen Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB) von 2 %. Die Teuerungsraten stiegen kontinuierlich, bis sie im Oktober und November 2022 mit 8,8 % ihren Höhepunkt erreichten. Dieser zunehmende Inflationsdruck rief die EZB auf den Plan, die im Juli 2022 die Zinswende einläutete und seitdem den Leitzins zehnmal angehoben hat. Die Zinsschritte der EZB zeigten erste Wirkung und die Inflation ging in kleinen Schritten zurück. Im September 2023 lag sie bei 4,5 %. Aufgrund des langsamen Rückgangs der Inflation geht die jüngste Gemeinschaftsdiagnose davon aus, dass die Leitzinsen erst im Herbst 2024 wieder gesenkt werden (Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose 2023). Mit den Leizinsen stiegen auch die Zinsen für Baugeld in bisher unbekanntem Tempo. Die Effektivzinssätze für Wohnungsbaukredite an private Haushalte mit einer Zinsbindung über fünf bis zehn Jahre sind seit dem Tiefpunkt der Niedrigzinsphase auf derzeit 3,81 % geklettert und haben sich damit mehr als verdreifacht. Gleichzeitig sind die Baukosten für Wohngebäude seit Beginn der Pandemie um mehr als 40 % gestiegen. Von der Branche werden neben den gestiegenen Materialkosten insbesondere hohe Nachhaltigkeitsstandards sowie langwierige und kostspielige Genehmigungsprozesse als Kostentreiber genannt. Daneben wurde die Förderkulisse für den Neubau in der Zwischenzeit deutlich gestrafft: Waren bis Anfang 2022 beispielsweise noch Neubauten mit der Effizienzhaus-Stufe 55 förderbar, sind derzeit nur noch Neubauten mit der Effizienzhaus-Stufe 40 mit deutlich höheren Gestehungskosten förderfähig.