„Wir sind ja kein Schwellenland“

Exklusiv für den Unternehmens-Blog hat Sigrid Rautenberg, Leitung Unternehmenskommunikation bei bulwiengesa, gleich zwei erfahrene Ökonomen interviewt: Martin Steininger, Chefvolkswirt bei bulwiengesa, und Dr. Franz Eilers, Leiter der vdpResearch, blicken zurück, voraus und vor allem hinter Hypes und Hysterien. Die Daten beider Unternehmen zur Immobilienmarktbeobachtung werden von der Deutschen Bundesbank verwendet.

Welche Überraschungen hat das Jahr 2018 gebracht?

Dr. Franz Eilers: Ich hätte nicht erwartet, dass die Preise und Kapitalwerte so stark steigen und die Renditen weiter sinken. Das Ausmaß dieser Entwicklungen hat mich schon überrascht.

Martin Steininger: Mich ebenso. Lediglich bei Shoppingcentern sind die Nettoanfangsrenditen teilweise wieder angestiegen. Ansonsten haben die Marktteilnehmer immer noch positive Erwartungen über die zukünftige Entwicklung von Immobilien. Sonst wären zum Beispiel die Renditen bei Pflegeimmobilien nicht so deutlich gesunken wie 2018. Konjunkturelle Überraschungen kamen eher von unerwarteter Seite, die man getrost unter „Sonderfaktoren“ verbuchen kann: Das Niedrigwasser auf vielen Wasserstraßen und Probleme der Automobilindustrie bei der Umstellung auf den neuen PKW-Prüfstandard WLTP haben die Produktion im dritten und vierten Quartal des vergangenen Jahres ausgebremst.

Das klingt nicht so gravierend.

Eilers: Das ist überhaupt nicht banal, zum Teil musste die Produktion gestoppt werden. Gleichzeitig haben sich die wirtschaftlichen Perspektiven etwas eingetrübt, so dass viele Wachstumsprognosen nach unten korrigiert wurden. Beispiele hierfür sind die Deutsche Bundesbank und das Ifo-Institut, die beide pessimistischer geworden sind. Diese extreme Unsicherheit überrascht mich momentan schon. Auf der anderen Seite geht selbst das Ifo-Institut von deutlichen Beschäftigungsgewinnen aus. Was im Hinblick auf den Immobilienmarkt positiv zu bewerten ist.

Steininger: Die Auguren blicken verstärkt auf die negativen Nachrichten, sie haben derzeit eine Tendenz zur Überbewertung dieser Risiken. Dabei sind die Rahmenbedingungen für jedes Segment weiterhin günstig.

Als Exportnation ist Deutschland abhängig vom Ausland – droht von dieser Seite Gefahr für die Konjunktur?

Eilers: Wir sind schon sehr exportlastig, und wenn die Weltwirtschaft weniger wächst, bleibt das nicht ohne Folgen. Zurzeit kommen die Wachstumsimpulse vor allem von der Inlandsnachfrage, während der Außenbeitrag aufgrund steigender Importe einen negativen Saldo aufweist.

Steininger: Die Auslastung der Betriebe liegt momentan mit 80 Prozent recht hoch und die Auftragsbücher der deutschen Industrie sind zudem gut gefüllt. Wenn es mit der Weltwirtschaft abwärts geht, müssten, salopp gesagt, halt mal einige Überstunden abgebaut werden. Gravierende Auswirkungen würde das nicht haben.

Seit 14 Jahren steigen die Immobilienpreise – in welcher Phase des Zyklus stehen wir aktuell?

Steininger: Das kommt auf das jeweilige Segment an. Der Einzelhandel ist aus meiner Sicht im Spätherbst angekommen, hier geht die Investmentnachfrage weg von Shoppingcentern hin zu Fachmärkten. Diese wiederum sehe ich im Sommer. Im Büro und bei der Logistik geht es jetzt erst richtig los. Im Segment Wohnen ist Spätsommer oder ein Plateau erreicht – das Wachstum dort wird zukünftig weniger dynamisch ausfallen.

Eilers: Das Bild vom Zyklus darf nicht überinterpretiert werden. Es ist zu unterscheiden zwischen dem Miet- oder Flächenmarkt auf der einen Seite und dem Eigentümer- bzw. Investmentmarkt auf der anderen Seite. Der Flächenmarkt ist insgesamt in sehr guter Verfassung.

Die Flächennachfrage ist weiterhin hoch, die Leerstände sind niedrig. Problematischer ist die Situation auf dem Investmentmarkt. Die Preise und Kapitalwerte haben sich doch recht deutlich von den Mieten abgesetzt. Die niedrigen Zinsen haben viele Investoren dazu animiert, ihr Geld in Immobilien anzulegen. Bei Zinsänderungen besteht immer die Gefahr, dass sie sich tendenziell zurückziehen und Preiskorrekturen bewirken.

Wo sehen Sie spekulative Übertreibungen?

Steininger: Wenn Investoren auf der Suche nach Rendite eher in dezentrale Lagen gehen, ist dort die Gefahr im Fall von wirtschaftlichen Eintrübungen natürlich größer als bei etablierten A-Märkten. Aber wir sind hier ja kein Schwellenland, das durch Trumpsche Twitter-Botschaften in den Abgrund gestürzt wird wie die Türkei! Die Rahmenbedingungen sind günstig. Ich glaube auch nicht, dass der gesamte Markt in eine Krise schlittert.

Eilers: Das ist der Unterschied zu den 1990er-Jahren, wo viel zu viel gebaut wurde. Ein gewisses Risiko für Übertreibungen besteht bei Wohnungen in den Topstädten. Hier ist der schon erwähnte Abstand zwischen Mieten und Preisen besonders groß. Auch auf den Büromärkten ist die Differenz zwischen den Kapitalwerten und den Mieten beträchtlich.

Steininger: Was wir sehen – der Abstand zwischen Mieten und Preisen – ist eher Ausdruck unrealistische Erwartungen als spekulativer Übertreibungen. Es gibt immer Player im Markt, die sich verzocken: Das war gestern so, passiert auch heute und wird bestimmt auch morgen so sein.

Welche Immobilien würden bei einer Krise als erstes im Regen stehen?

Eilers: In den Büromärkten steckt mehr spekulative Kraft als in den Wohnungsmärkten. Die Büromärkte sind doch mehr von der wirtschaftlichen Entwicklung abhängig als die Wohnungsmärkte. Wohnen ist schließlich ein Grundbedürfnis.

Steininger: Eng werden könnte es für Nischenprodukte wie studentisches Wohnen. Das ist sicher nicht an allen Orten unendlich skalierbar.

Wie hat sich die Risikobereitschaft von Banken verändert?

Eilers: Die wichtigsten Prüfkriterien sind die Bonität der Kunden und die Sicherheit der Immobilie. Beides nehmen sie sehr gründlich in Augenschein. Wegen der steigenden Preise tendiert die Kreditbelastung leicht nach oben. Das stellt aber gegenwärtig kein Problem dar. Unsere letzte Befragung zeigt, dass die Beleihungsausläufe ganz leicht ansteigen, aber deutlich von einem kritischen Niveau entfernt sind.

Auch wenn einzelne Institute vielleicht etwas entspannter agieren – nach wie vor sind die Banken sehr sicherheitsorientiert. Diese Sicherheitsorientierung ist auch auf der Kundenseite stark ausgeprägt. In aller Regel werden Kredite mit hohen Tilgungsraten abgeschlossen. Und auch in der makroökonomischen Betrachtung sieht es stabil aus, das Verhältnis von Kreditbestand zu Bruttoinlandsprodukt ist nahezu konstant.

Steininger: Die Stellschraube ist nicht eine höhere Risikoorientierung, sondern die durch den hohen Wettbewerbsdruck gesunkene Marge. Wer einen Kredit braucht, muss weiterhin hohe Vorvermietungsquoten nachweisen. Leere Objekte auf der grünen Wiese für zig Millionen Euro werden Banken nach wie vor nicht finanzieren. Für eine Bankenkrise à la Lehman müsste schon ein exogener Schock oder eine Kombination von mehreren auf die Ökonomie treffen.

Eilers: Aber auch dann, und selbst bei einem Zinsschock, würde nicht viel passieren, weil meistens sehr langfristig finanziert wird.

Steininger: Stimmt. Außerdem ist der Markt vollgepumpt mit billigem Geld. Unternehmen konnten sich in den vergangenen Jahren billig refinanzieren bzw. ihr Wachstum für die kommenden Jahre durchfinanzieren. Dass der Konkurrenzkampf unter den Banken größer geworden ist, hat keine gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen.

Eilers: In der Tat ist die Zahl der Kauffälle nicht gestiegen. Das Finanzierungsvolumen wächst nur deshalb, weil die Preise steigen. In einigen Märkten beobachten wir sogar einen Rückgang in den Kauffällen. Beispielsweise ist die Zahl der Transaktionen mit Eigentumswohnungen in München kräftig gesunken.

Was finanzieren Banken gern, was inzwischen weniger?

Eilers: Ich sehe keine Verschiebungen und auch keine veränderten Vorlieben. In persönlichen Gesprächen erfahren wir, dass viele bei Einzelhandel eher vorsichtig sind. Die meisten können nicht einschätzen, wie es da weitergeht. Mir fällt das auch schwer. Eine gewisse Zurückhaltung gibt es bei Hotels, da wurde bereits sehr viel finanziert.

Steininger: Bei Hotels ist viel in der Pipeline, sowohl im Bau als auch in der konkreten Planung, an einigen Standorten sogar enorm viel. Da wird es einen Verdrängungswettbewerb geben. Dass Banken da vorsichtig sind, wundert mich nicht.

Wie solide refinanzieren sich die Banken?

Eilers: (lacht) Wir sind hier beim Verband deutscher Pfandbriefbanken! Solange die Banken über Pfandbriefe refinanzieren, ist also alles stabil. Ansonsten zitiere ich aus dem Finanzmarktstabilitätsbericht der Bundesbank, dass bei kleineren Instituten das Verhältnis von Finanzierung und Refinanzierung nicht immer optimal ist.

Ihr Ausblick für 2019 …

Steininger: Komplett langweilig! Die Renditen gehen nicht viel weiter runter, die Mieten haben teilweise, in manchen Segmenten, noch Dynamik. Nach dem Rekordjahr 2018 wird das Investmentvolumen wieder leicht sinken. Aber bei 50 bis 60 Milliarden Euro an investiertem Kapital in 2019 wäre dies im langfristigen Vergleich immer noch ein super Jahr.

Eilers: Das würde aber bedeuten, dass die Preise weiter steigen, wenn zu wenige Objekte in der Pipeline sind. Ich habe aber auch keine rechte Phantasie. Die Dynamik geben die Mieten vor, denn die Renditen können kaum weiter sinken. Insgesamt gehe ich von einem abgeschwächten Wachstum der Preise und Kapitalwerte aus,  einen Einbruch sehe ich nicht.

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