Nach dem Boom – Immobilienmärkte in der Krise?

„Krise, welche Krise?“, mag denn auch die Antwort nach drei Monaten Lockdown sein – zumindest, wenn der oder die Antwortende sich zum Segment der Wohnimmobilien in Deutschland zählt. Und in der Tat ist nach der anfänglichen Unsicherheit im März und April die – nicht direkt in Marktzahlen messbare – Verunsicherung der Erkenntnis gewichen, dass sich „Wohnen“ relativ immun gezeigt hat gegenüber den konjunkturellen Verwerfungen.

Diese sind zweifelsfrei gewaltig und münden in desaströsen Konjunkturzahlen für das 2. Quartal 2020. Aber im Gegensatz dazu muten nicht stattgefundene Wohnungsbesichtigungen noch relativ harmlos an. Doch ist wirklich schon alles vorbei mit dem gewaltigsten Konjunkturpaket seit der deutschen Einheit?  Bei den anderen Sektoren (Automobil, Luftfahrt etc.), gar gesamtwirtschaftlich brennt dagegen nicht nur das Dachgeschoss, auch im Fundament sind deutliche Risse zu erkennen.

Weltwirtschaft

Betrachtet man diese Sektoren, so zerfällt die Weltwirtschaft derzeit in drei Hauptelemente des Status quo:

  • Es gibt Branchen, die direkt und massiv von den betrieblichen Ereignissen der letzten zwei Monate betroffen sind – dazu gehören z. B. die persönlichen Dienstleistungen in der Konsumgüterindustrie, der Unterhaltungsindustrie oder der Gastronomie.
  • Es gibt auch Brachflächen, die direkt von den Marktverzerrungen profitieren. Beispiele sind der IT-Sektor, die Hersteller von Gesundheitsprodukten oder Teile des Logistikverkehrs.
  • Und es gibt Branchen, die sich derzeit in einem Zustand des Verharrens befinden. Dazu gehört der Immobiliensektor oder die Automobilindustrie.

Den letztgenannten Branchen ist gemeinsam, dass es derzeit keine Hinweise auf eine Preisänderung aufgrund von Marktaktivitäten gibt. Mag sein, dass Dieselfahrzeuge in den kommenden Monaten noch billiger werden, aber diese Entwicklung hat bereits „vor Corona“ eingesetzt.

Gleichzeitig ist es aber für viele offensichtlich, dass die tiefste globale Rezession seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs natürlich ihre Spuren hinterlassen wird – auch in der Immobilienbranche. Zumindest, wenn man in den Rückspiegel schaut.

Zweite Welle an den Wohnungsmärkten?

Insbesondere die Immobilienbranche, die aus einer fast zehnjährigen Aufschwungphase kommt, scheint den fundamentalen Auswirkungen von COVID-19 eher gleichgültig gegenüberzustehen. Dabei ändert sich an der traditionellen Kausalkette: Konjunktureinbruch – Angst um den Arbeitsplatz – vermeintlich günstige Finanzierungsbedingungen und hohe Kaufpreise – enge Hypothekenkalkulation – schwere Bedienung der monatlichen Rate“ – grundsätzlich nichts. Noch ist folglich nicht abzusehen, ob der Konjunktureinbruch im Herbst nicht doch eine zweite Welle an den wohnwirtschaftlichen Immobilienmärkten nach sich ziehen wird.

Gegenthese: „Stimmt nicht, gerade Wohnimmobilien sind in konjunkturell schwierigen Zeiten traditionelle Investitionsvehikel – Motto: Geld in Backsteine ist Geld, welches noch da ist nach der Krise und eh stetig wächst im Wert.“

Diesmal ist alles anders – Risiko & Hoffnung

Die noch deutlich zu spürende Unsicherheit in der aktuellen Situation wird üblicherweise definiert als ein bewusst wahrgenommener Mangel an Sicherheit oder (im wissenschaftlichen Kontext) an Reliabilität und Validität. Ein tatsächlicher Mangel an Sicherheit wird auch als Gefahr bezeichnet – Schlagzeilen, welche uns quasi täglich aus den Medien entgegenkommen.

Die globale Unsicherheit im Zusammenhang mit dem Coronavirus ist denn auch rekordverdächtig hoch: Sie ist dreimal so groß wie die Unsicherheit während der SARS-Epidemie 2002/2003 und etwa 20 Mal so groß wie während des Ebola-Ausbruchs.

Derzeit stehen Investoren in ihrem Bemühen, die Risiken zu begrenzen drei Szenarien zur Auswahl – der Glaube, die Hoffnung und die Erwartung an eines der drei Basisszenarien wird die Märkte in den kommenden Wochen bestimmen, gemeint sind damit die V-, die U- und die L-Formation.

  • Aktuell wird vor allem die sog. V-Formation prädestiniert – zumindest von den Optimisten. Damit ist gemeint, dass die Verteilung der C-19-Kurve in den kommenden Wochen erfolgreich abflacht, was eine Umgebung für die Lockerung der Abriegelung und schließlich für die Lockerung der Maßnahmen zur sozialen Distanzierung schafft. Die nur noch geringfügige nachfolgenden Ausbrüche von COVID-19 werden erfolgreich bekämpft, aber der starke Rückgang des BIP im zweiten Quartal 2020 erfolgt, wobei die Schwäche im ersten Teil des dritten Quartals anhält und das Wirtschaftswachstum ab Ende des dritten Quartals wieder anzieht.
  • Selbstredend, dass mit der U- bzw. L-Formation konjunkturelle Entwicklungen beschrieben werden, welche von einer Verlängerung der wirtschaftlichen Krisensituation bis weit in das nächste Jahr (U-Formation) oder länger ( L-Formation, auch als japanische Verhältnisse beschrieben) ausgehen.

COVID-19 & Immobilienmarkt – was wir erwarten sollten

Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass es kaum einen ungünstigeren Zeitpunkt gibt, um eine Prognose für die Immobilienmärkte zu erstellen, die nicht von täglichen Nachrichten „aus der Wirtschaft“ beeinflusst wird. Dennoch ist offensichtlich, dass die deutschen Immobilienmärkte keineswegs in einem zu starken Zusammenhang mit der Pandemie stehen.

Klar ist natürlich, dass derzeit nur wenige Aktivitäten auf operativer Ebene stattfinden. Die Preisfunktion, die sich aus den drei Hauptvariablen Angebot, Nachfrage und Finanzierungsbedingungen zusammensetzt, funktioniert jedoch nach wie vor. Es kann sein, dass kurzfristig ein neues Preisschild an einzelnen Objekten oder Segmenten angebracht wird. Aber zeitlich gesehen werden diese eher die Ausnahme als die Regel sein. Zu stark prägen Megatrends wie Urbanisierung oder Digitalisierung den (Wohnungs)Markt.

Der Wohnungsmarkt reagiert aktuell relativ unempfindlich gegenüber exogenen Schocks und wird eher von langfristigen Trends wie dem lokalen Bevölkerungswachstum als Nachfragefaktor und dem lokalen Angebot als von kurzfristigen wirtschaftlichen Verzerrungen bestimmt. Ich wage deshalb die Behauptung, dass auf den zentralen Immobilienmärkten und hier im Besonderen auf den Wohnimmobilienmärkten wieder eine relativ rasche Erholung einsetzen wird.

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