Die Zielsetzung des Gesetzentwurfes der Koalitionsfraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP (20/3936) zur Ausweitung und Erhöhung des Wohngeldes ab 1. Januar 2023 ist am Montagmittag in einer Anhörung des Bauausschusses auf große Zustimmung bei Experten gestoßen. Allerdings warnten die Sachverständigen vor massiven Umsetzungsproblemen in den Kommunen und mahnten unter anderem Vereinfachungen beim Prüfverfahren an.
Wegen des zu erwartenden Doppelaufwands wandten sie sich gegen die Pläne, das Wohngeld vorläufig auszuzahlen. Die Vertreter der Kommunen schlugen überdies die Einführung eines pauschalisierten Basis-Wohngelds in Höhe des gerade verabschiedeten Heizkostenzuschusses für die Dauer von sechs Monaten vor, „um Druck aus dem Kessel zu bekommen“, wie Hilmar von Lojewski vom Deutschen Städtetag betonte. Die Pauschale sollte nicht zurückgezahlt werden müssen.
Von Lojewski sprach insgesamt von massiven Problemen im Vollzug. Der zusätzliche Personalbedarf in den Wohngeldstellen sei extrem hoch, sie seien auf Hilfe angewiesen, um das Instrument „schnell und wirksam ausrollen zu können“, appellierte er.
Die Ausweitung des Wohngeldes auf schätzungsweise zwei Millionen Haushalte statt bisher rund 600.000 Haushalte sei im Grundsatz sehr zu begrüßen, urteilte Bernd Düsterdiek vom Deutschen Städte- und Gemeindebund. Die Verankerung einer dauerhaften Heizkosten- sowie Klimakomponente sei ebenfalls richtig und sinnvoll. Jedoch sei die Reform in der Kürze der Zeit und mit Blick auf die angespannte Personalsituation in den Kommunen „nicht durchführbar“, warnte er. Erschwert würde die Lage durch die gleichzeitige Einführung des Bürgergelds, die Aufnahme von Flüchtenden und die Abarbeitung von Folgewirkungen der Corona-Pandemie.
„Die Menschen sind darauf angewiesen, das Geld möglichst zeitnah zu bekommen“, mahnte Heiko Gill vom niedersächsischen Umwelt- und Bauministerium. Um dies mit dem vorhandenen Personal zu gewährleisten, müsse das Antragsverfahren vereinfacht werden. Wie die Vertreter der Städte und Gemeinden regte er an, von der beabsichtigten vorläufigen Zahlung des Wohngeldes abzusehen, da sie eine Doppelbearbeitung der Anträge erforderlich mache.
Sebastian Klöppel vom Deutschen Städtetag verwies auf die komplexe Einkommensprüfung beim Wohngeld, die so schnell nicht vereinfacht werden könne. Auch mehr Digitalisierung sei so schnell nicht realisierbar. Daher könne nur ein pauschalisiertes Basis-Wohngeld den Kommunen den dringend benötigten zeitlichen Puffer verschaffen.
Markus Mempel vom Deutschen Landkreistag appellierte darüber hinaus an die Politik, „realistisch mit den Erwartungen der Menschen“ umzugehen. Sie müsse die Antragsteller darauf einstimmen, dass nicht jeder Anspruchsberechtigte schon im Januar Geld überwiesen bekomme. „Andernfalls gibt es Ärger an der Basis und damit ist niemandem gedient.“
Erste Schätzungen in Bayern gingen von einem zusätzlichen Bedarf von mindestens 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den 96 Wohngeldbehörden aus, berichtete Sandra Rehmsmeier vom Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr. Dabei seien die Wohngeldstellen schon jetzt überlastet. Sie sprach sich für eine Umsetzung der Empfehlungen des Bundesrates vom 17. Oktober 2022 aus, in denen die Länderkammer sich ebenfalls gegen vorläufige Zahlungen und für die Einführung einer Bagatellgrenze von mindestens 500 Euro ausspricht.
Positiv hoben die Sachverständigen die geplanten, dauerhaften Komponenten für Heizkosten und Klima im Wohngeld hervor. Die Klimakomponente, mit der höhere Wohnkosten infolge von energetischen Maßnahmen im Gebäudebereich abgefedert werden sollen, sollte jedoch in einem späteren Reformschritt deutlich erhöht und tatsächlich an den Energieeffizienzstandard des jeweiligen Gebäudes gekoppelt werden, empfahl der Geschäftsführer des Instituts für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Regionalentwicklung, Michael Neitzel. Dies sei derzeit wegen Zweifeln an der Rechtssicherheit der Energieausweise nicht umsetzbar.
Insgesamt sprach sich Neitzel für eine Evaluierung beider Komponenten und ihrer Effekte sowie für eine Anpassung der Heizkomponente an die Energiepreisentwicklung aus. Ähnlich äußerten sich der Geschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V., Christian Lieberknecht, und Kai H. Warnecke vom Zentralverband der Deutschen Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer e.V. Warnecke wies zudem darauf hin, dass selbstnutzende Wohneigentümer ebenfalls Anspruch auf Wohngeld haben könnten, was aber vielen nicht bewusst sei. Hier sei mehr Aufklärung nötig.
Birgit Fix vom Deutschen Caritasverband nannte die Stärkung des Wohngeldes und die Einführung von Heizkosten- und Klimakomponente einen „überfälligen Schritt“. Angesichts der explodierenden Preise befürwortete sie allerdings eine jährliche Dynamisierung der Ansprüche sowie einen zusätzlichen Härtefallfonds für verschiedene Zielgruppen, wie ihn die Expertinnen- und Expertenkommission Gas und Wärme vorgeschlagen hat. Das Wohngeld sollte außerdem um eine Stromkostenkomponente ergänzt werden.
Eine deutliche Ausweitung des Empfängerkreises auf alle von ihren Wohnkosten überlastete Haushalte forderte Melanie Weber-Moritz vom Deutschen Mieterbund. Mindestens 4,1 Millionen Haushalte seien davon allein in den großen Städten betroffen, also weit mehr, als die Reform erfasse, betonte sie. Eine Überlastung sei außerdem nicht erst gegeben, wenn ein Haushalt mehr als 40 Prozent fürs Wohnen aufbringen müsse, sondern beginne schon bei 30 Prozent. Ungeachtet dessen könne das Wohngeld mietrechtliche und wohnungspolitische Maßnahmen nicht ersetzen, betonte Weber-Moritz. Um die Wohnkosten zu senken, brauche es unter anderem mehr Sozialwohnungen und einen zeitlich begrenzten Mietenstopp (hib – heute im bundestag Nr. 621).