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Erdgeschosse gemeinsam meistern

Ob Nagelstudio, Kita oder Apple Store – Erdgeschosse sind die Visitenkarten eines Quartiers und prägen den Charakter einer Stadt. Aber die Leerstände nehmen zu, und die Anforderungen an Stadtplaner, Vermieter und Immobilienprojektentwickler werden immer höher. Nun hat bulwiengesa zusammen mit Fachleuten von Hamburg Team, Interboden und ehret + klein sowie der Bundesstiftung Baukultur die erste Erdgeschoss-Studie veröffentlicht.

Das gemeinsame Ziel war, Handlungsansätze für Quartiersentwickler, Stadtplaner und Investoren zu schaffen und eine Symbiose von Immobilienwirtschaft und Stadtplanung zu erreichen. Denn aktive Erdgeschosszonen sind für Vielfalt und Qualität in den Quartieren notwendig und damit im öffentlichen Interesse.

Allerdings stellt die Vermietung der Erdgeschosslagen, insbesondere in Stadtteillagen, die Quartiersentwickler vermehrt vor Probleme. Der wachsende Anteil des Onlinehandels führt zu Ladensterben, vor allem des Fachhandels.

Corona als Beschleuniger des Wandels

Bereits vor der Corona-Krise haben Entwicklungen wie Verschiebungen im stationären Einzelhandel, die stärkere Bedeutung von Gastronomie oder enorm steigende Grundstücks- und Baukosten dazu geführt, dass sich Erdgeschosslagen verändert haben. Prognosen zufolge steht mindestens jedes zehnte Einzelhandelsgeschäft innerhalb der nächsten zehn Jahre vor dem Aus. Gemeinsame Maßnahmen von Privatwirtschaft und öffentlicher Verwaltung, um diese Lagen zu gestalten, sind unabdingbar.

Mehrere Faktoren führen seit etwa 2010 zu einem wachsenden „Erdgeschossproblem“. In großen wie kleinen Städten fallen zunehmend Erdgeschosse auf, die nicht mehr vermietet werden können. Diese beeinträchtigen entweder als blinde Flecken oder aber durch einfache Nutzungen wie Spielhallen, Wettbüros oder Kioske den Gesamteindruck des Quartiers. Gleichzeitig entstehen Schieflagen bei der immobilienwirtschaftlichen Kalkulation.

Ursache hierfür sind Faktoren wie der Rückgang der inhabergeführten Läden, zunehmender Onlinehandel, baurechtliche Auflagen, teils ohne Augenmaß für den Immobilienmarkt, alternde Gesellschaft mit spezifischeren Bedürfnissen oder Optimierungszwang wegen schnell steigender Bau- und Grundstückskosten.

Das Dilemma aus sozialem Mehrwert einerseits und wirtschaftlichem Kalkül andererseits wird immer akuter. Erdgeschosse sind zunehmend Funktionsträger eines Quartiers und zukünftig weniger Cash-Flow-Bringer des einzelnen Gebäudes.

Nikolas Jorzik, Geschäftsführer Hamburg Team

Finanzieller Spielraum oder besonderes Konzept

Viele öffentliche Planungsämter beharren häufig auf zu starren Vorgaben bezüglich der konkreten Erdgeschossnutzungen, die sich mit den am Markt realisierbaren Möglichkeiten und den Gegebenheiten vor Ort oft nicht oder nur schwer vereinbaren lassen. Die Projektentwickler werden dadurch vor größere Probleme bei der Umsetzung gestellt, beispielsweise bei der Mietersuche. Gleichzeitig steigt die Gefahr längerer Leerstandszeiten sowohl zu Beginn, als auch im weiteren Verlauf der Nutzungsphase.

Auch entspricht die Ausgangslage einer Projektkalkulation nur selten den tatsächlichen Gegebenheitenbei Fertigstellung. Viele Entwicklungen sind kaum zu prognostizieren. So steigen die Bau- und Grundstückskosten stärker als die Mieten im stationären Einzelhandel. Allein die Grundstückskosten haben sich in guter Lage zwischen 2015 und 2019 in den A-Städten durchschnittlich um 115 Prozent verteuert. Selbst in mittleren (+70 %) und einfachen Lagen (+56 %) fällt der Anstieg hoch aus.

Lebendige Erdgeschosszonen benötigen also entweder finanziellen Spielraum, etwa durch Quersubventionierung, oder ein besonderes Konzept, das hohe Mieterträge ermöglicht.

Handlungsempfehlungen

Schon in der Planungsphase sollten Standortanforderungen einzelner Nutzungen stärker berücksichtigt und auch kommuniziert werden. Die gemeinsam mit den Studienpartnern ausgearbeiteten Empfehlungen richten sich an Projektentwickler, Stadtplaner und Investoren.

A. Projektentwickler

  • Es empfiehlt sich, Quartiere ganzheitlich zu betrachten und zu kalkulieren. Viel stärker als bislang sollte die Leistungsphase 10 (Betrieb) bereits in Leistungsphase 0 (Planung) mitgedacht und über den gesamten Entwicklungszyklus im Blick behalten werden. Auch der Managementaufwand, insbesondere für die Erdgeschossflächen, sollte bereits in den Planungen berücksichtigt werden.
  • Darüber hinaus sollten lokale Wirtschaftsakteure einbezogen werden, um die Akzeptanz eines Quartiers zu erhöhen und potenzielle Mieter zu akquirieren. Mieter aus dem lokalen Umfeld führen mehr als überregionale oder globale Einzelhandelsketten zu resilienteren Strukturen.
  • Nach Möglichkeit sollten Preconstruction-Verträge mit den Bauunternehmen abgeschlossen werden. Anderenfalls kann bei der langen Planungphase für ein Quartier schon der Anstieg der Baukosten eine Quartiersentwicklung unwirtschaftlich machen.
  • Um den wirtschaftlichen Druck auf die Erdgeschossflächen zu verringern, sind Quersubventionierungen ein Mittel. Dadurch wird es den Entwicklern ermöglicht, Nutzungen mit Mehrwert für Quartier und Stadt zu etablieren, die sich ggf. dort in höheren oder stabileren Erträgen niederschlagen.

B. Stadtplaner

  • Planungsämter sollten stärker würdigen, dass niedrige Renditen durch relativ hohe Kaufpreise und „Stadtrendite“ – wenngleich schwer quantifizierbar – Hand in Hand mit einem geringen sozialen Risiko einhergehen.
  • Oftmals ist das Anforderungspaket der kommunalen Verwaltungen im realen Markt für die Projekt- und Quartiersentwickler wirtschaftlich nicht umsetzbar. Eine bessere Abwägung bei schwer vermietbaren Flächen sowie ein verbindlicher Anforderungs- und Leistungskatalog wäre unter den aktuellen Bedingungen in vielen Fällen förderlich, um Leerstände zu vermeiden.
  • Frequenz ist die unverzichtbare Voraussetzung für ein funktionierendes Quartierszentrum – sie kann üblicherweise durch sehr hohe bauliche Dichten oder eine starke Konzentration an Verkehrsknotenpunkten erzielt werden.

C. Investoren

  • Development und Property Management sollten verbindlich im Zusammenhang gedacht werden, da nicht jede Erdgeschossfläche, die in der Erstvermietung einen Mieter gefunden hat, ein nachhaltiger Garant für Mieterträge und Qualität ist. Eine weitreichende Nutzungsflexibilität steigert den Anlageerfolg.
  • Quartiere sollten als Assetklasse noch konkreter definiert und Anforderungskataloge formuliert werden.  Alternativen zum Einzelhandel – etwa Kultur, Büros und Kleingewerbe – spielen eine zentrale Rolle.
  • Weil Grundstückspreise, Immobilienmarktzyklen und Quartiersveränderungen starken Einfluss auf die langfristige Wertstabilität eines Quartiers haben, sollten klare Strategien obligatorisch sein, wie welchen Risikofaktoren bei welchen Kosten begegnet werden kann. Erdgeschoss-Management spielt hierbei eine zentrale Rolle für das Gesamtquartier.
  • Langfristige Stadtmanagement-Verträge auf PPP-Basis mit den jeweiligen kommunalen Gesellschaften sind für ein langfristiges Investment ein starker Garant für qualitätvolle Erdgeschosse.

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