Ein Quartier der Vielfalt – auch im Alter

In einem sozialen Brennpunkt ein Quartier weiterzuentwickeln, war die große Herausforderung vor der FRANK in Kiel-Gaarden stand. Mit einem ganz besonderen Pilotprojekt hat das Hamburger Unternehmen einen starken Impuls für die Stadtentwicklung der Landeshauptstadt gegeben.

Kieler unterteilen ihre Stadt in das Westufer und in das Ostufer. Am Westufer liegen die Innenstadt und der Hauptbahnhof, die Universität und die meisten Stadtteile, in denen der Großteil der Kieler lebt. Das Ostufer steht für die raue Seite der Stadt. Hier prägten früher die Marine und die Werften das Leben der Menschen und ließen klassische Arbeiterstadtteile wie Kiel-Gaarden entstehen.

In den 1960er Jahren erfolgte ein starker Zuzug von Gastarbeitern, der zur Abwanderung vieler besser verdienender Bewohner führte. Später geriet die Hafenwirtschaft in eine Krise und es kam zu Entlassungen. Der Anteil der Empfänger von staatlichen Transferleistungen liegt in Gaarden-Ost heute bei über 40 Prozent und die Mieten für öffentlich geförderte und frei finanzierte Wohnungen liegen auf niedrigem Niveau nah beieinander. Dennoch, wer durch den Stadtteil geht, wird auch ein urbanes, multikulturelles Viertel entdecken, das mit seinen vielen Plätzen, engen Straßen und den vielen Altbauten Charme entfaltet.

FRANK engagiert sich bereits seit 1998 in Gaarden. Damals wurde gemeinsam mit der KWG (heute Vonovia) der Gustav-Schatz-Hof gebaut. Insgesamt 375 Mietwohnungen für rund 1.100 Menschen. Die Außenanlagen des Quartiers sind großzügig gestaltet. Es gibt mehrere Fußwege zwischen den Häusern und Begegnungsorte, wo gespielt oder ausgeruht wird. Von Beginn an hatten FRANK und KWG einen kleinen Mietertreff, der in einer Wohnung untergebracht war.

Insgesamt war der Gustav-Schatz-Hof ein Quartier, das sich in einem schwierigen Umfeld gut entwickelt hatte. Rund zehn Jahre später dachte FRANK über eine Erweiterung auf einem unmittelbar daneben liegenden Grundstück nach. Ziel war es, dass auch die Bestandswohnungen von einem Neubau profitieren sollten, um dauerhaft attraktiv für Mieter zu bleiben.

„Wir haben den Stadtteil regelrecht untersucht“, sagt Natascha Hoffmann von FRANK. „Wir ließen eine Marktstudie erstellen, befragten unsere Mieter und wir sprachen viel mit Verbänden und Vereinen, die die Strukturen und Probleme in Kiel-Gaarden am besten kennen. Wir wollten den Stadtteil umfassend verstehen, um dann die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen”, erklärt die Geschäftsführerin aus dem Bauträgerbereich.

Was die Entwickler herausfanden, war die Grundlage für das neue Quartierskonzept. Viele Migrantenfamilien, die in der zweiten oder dritten Generation in Deutschland leben, entwickeln sich wie Familien, die schon lange in Deutschland verwurzelt sind. Zunehmende Individualisierung, wachsende Mobilität und der Drang nach Selbsterfüllung sind gesellschaftliche Veränderungen, die auch in diesen Milieus stattfinden.

Die traditionelle Großfamilie gibt es immer seltener und damit schrumpft auch der Wohnflächenbedarf älterer Migranten. Die meisten möchten im Alter nicht mehr dauerhaft in ihr Geburtsland zurückkehren. Das mag zum Teil an der wirtschaftlichen oder politischen Situation in den Ländern liegen, aber alle haben nach Jahrzehnten in Deutschland ihren sozialen Mittelpunkt hier gefunden. Auffällig war zudem, dass es Ende der 2000er Jahre in Kiel-Gaarden keine nennenswerten Bestände an Seniorenwohnungen gab.

Das Konzept für den Neubau sah dann die folgenden Eckpfeiler vor: Es sollten circa hundert öffentlich geförderte Seniorenwohnungen entstehen, von denen etwa ein Viertel von Menschen mit Migrationshintergrund bewohnt werden, kombiniert mit betreutem und kultursensiblem Wohnen, dazu einen Mietertreff als Quartierszentrum, für alle Bewohner des Gustav-Schatz-Hofs, und schließlich eine Kindertagesstätte, die sich gut mit dem Seniorenwohnen ergänzt. Innerhalb von zwei Jahren, im Sommer 2013, war die Quartierserweiterung abgeschlossen.

Mit der Diakonie Altholstein hat FRANK einen Betreiber ausgewählt, der das betreute Wohnen von Beginn an mit großem Engagement in die Tat umsetzt. Neben den Seniorenwohnungen gibt es eine Wohngruppe für zwölf an Demenz erkrankte Senioren. Dazu betreibt die Diakonie einen ambulanten Pflegedienst. Eine Tagespflege wird von Senioren genutzt, die außerhalb des Gustav-Schatz-Hofs leben.

Der zentral gelegene Mietertreff „Schatzhaus” hat sich schnell zum sozialen Dreh- und Angelpunkt des Quartiers entwickelt. Für Heinrich Deicke, Geschäftsführer der Diakonie Altholstein, sind die Mitarbeiter im Gustav-Schatz-Hof ein wichtiger Erfolgsfaktor:

Wir haben ein Pflegeteam, das die kulturelle Diversität von Kiel-Gaarden widerspiegelt. Hier wird Plattdeutsch, Türkisch, Arabisch und Russisch mit den Bewohnern gesprochen. Daran mitzuwirken, dass für Senioren mit und ohne Migrationshintergrund die richtigen Rahmenbedingungen und Wohnangebote geschaffen werden, sehen wir als unsere Aufgabe an.

Der Gustav-Schatz-Hof hat sich mittlerweile zu einem Leuchtturm in Gaarden entwickelt, der wichtige Impulse für die Stadtentwicklung in Kiel-Gaarden gibt. Das Integrationsprojekt strahlt sogar bis nach Berlin. 2018 folgte die Kanzlerin Angela Merkel der Einladung der Diakonie und besuchte die Wohnanlage, um sich selbst ein Bild von dem Quartier und dem Zusammenleben der Senioren zu machen.

Der Erfolg der Quartiersentwicklung drückt sich aber auch in Zahlen aus. Gut ein Viertel der Senioren haben ausländische Wurzeln. Von den insgesamt 106 Bewohnern stammen acht aus der Türkei und jeweils vier aus Russland und der Ukraine. Andere stammen aus dem Irak, Armenien sowie aus europäischen Ländern wie Finnland, Griechenland, Niederlande oder Frankreich. Eine Befragung unter den Bewohnern hat gezeigt, dass die Senioren das interkulturelle Zusammenleben überwiegend als Bereicherung empfinden.

Leerstand gibt es nicht und die Fluktuation ist mit 5 Prozent konstant niedrig. Dank des innovativen Charakters förderte das Ministerium für Inneres, ländliche Räume und Integration in Schleswig-Holstein das Integrationsprojekt über die Investitionsbank des Landes.

Die Mieten der 94 Seniorenwohnungen liegen dadurch nur bei 5,40 Euro/m². Frei finanzierte Wohnungen oder Eigentumsmaßnahmen gibt es nicht. Es liegt auf der Hand, dass die Landesförderung die Wirtschaftlichkeit der Seniorenwohnanlage ermöglicht. Dr. Maik Krüger, Referatsleiter Wohnraumförderung des Ministeriums, erläutert dafür die Gründe: „Das Seniorenwohnen im Gustav-Schatz-Hof soll über die Stadtgrenzen hinaus eine Vorbildfunktion einnehmen. Es ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie Wohnen und Integration angepackt werden können. Die Förderung war daher gut angelegtes Geld.“

Ulf Schauenburg, geschäftsführender Gesellschafter von FRANK ist froh, dass sein Onkel damals die Entscheidung traf, dieses Integrationsprojekt umzusetzen.

Unsere Wohnquartiere sollen eine wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit erreichen. Dazu gehört auch, dass wir öffentlich geförderte Wohnungen in unserem Bestand halten. Mit dieser Diversifikation sichern wir unseren Fortbestand. Und wir schaffen Wohnraum, der auch für die kommenden Generationen attraktiv ist.

Das Land Schleswig-Holstein begrüßt vergleichbare Projekte und hat dazu eine Projektdokumentation gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V. (ARGE), der Diakonie Altholstein und FRANK veröffentlicht. Die Broschüre kann auf der Website der ARGE bestellt werden: https://arge-ev.de/arge-ev/publikationen/projektdokumentationen/

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