Reurbanisierung der Lebensmittelhändler

Immer mehr Menschen in Deutschland zieht es von der Peripherie in die Städte – und die Nahversorger ziehen mit. Waren Supermärkte und Discounter dort früher nicht immer gern gesehen – Stichworte sind Lärm,  Lieferverkehr und hoher Parkraumbedarf –, prägt der Lebensmittelhandel neuerdings dank spezieller, an die Urbanität angepasster Verkaufsformate zunehmend die Lebensqualität in den Wohnquartieren.

Während Kunden fußläufig und bequem Waren des täglichen Bedarfs einkaufen können, sichern sich die Handelsunternehmen dank der Nähe zum Kunden erfolgreich gegen die Konkurrenz der Online-Pure-Player aus dem Internet ab. Und der Plan scheint aufzugehen: Der Online-Anteil am Lebensmittelhandel bleibt schwindend gering und für die Kunden, die immer flexibler einkaufen möchten, ist und bleibt der kurze Gang ins Geschäft bequemer als das Warten auf den Lieferboten. Aus Sicht von Projektentwicklern und der Wohnungswirtschaft ergeben sich damit interessante Schnittmengen für eine Zusammenarbeit mit den Handelskonzernen.

Mit Blick in die Zukunft stehen die Lebensmittelhändler in den hochverdichten Zentren jedoch vor großen Herausforderungen. Einerseits sind innerstädtische Einzelhandelsflächen knapp und erfordern neue Ideen bei der Flächengestaltung, andererseits führen technische und kulturelle Transformationsprozesse wie die Mobilitätswende oder ein wachsendes Nachhaltigkeitsbewusstsein zu veränderten Erwartungen der Kunden an den Handel.

Apropos Nähe: Vor allem Städter werden immer distanzsensibler und legen immer größeren Wert auf ein schnell erreichbares und qualitatives Lebensmittelangebot, das am besten „auf dem Weg“ liegt. Für den Einzelhandel wird die (ohnehin schwierige) Wahl eines attraktiven Standorts somit immer wichtiger, will er für seine Kunden erreichbar bleiben. Gleichzeitig verändert sich das Mobilitätsverhalten der Menschen: Das eigene Auto verliert – auch wegen zahlreicher Sharing-Angebote – immer mehr an Bedeutung, vor allem die täglichen Einkaufswege werden in verdichteten Räumen mehr und mehr zu Fuß oder mit dem Fahrrad erledigt.

Groß sind auch die demografischen Herausforderungen. Trotz wachsender Städte ist die deutsche Bevölkerung insgesamt rückläufig. Bis zum Jahr 2050 wird sie um bis zu sechs Millionen Menschen schrumpfen und im Mittel deutlich älter sein als heute, sagen Prognosen voraus. Die Zielgruppe der über 60-Jährigen wird für die Handelsunternehmen immer wichtiger.

Gleichzeitig steigt die Zahl der Zweipersonen- und Single-Haushalte, welche statistisch vergleichsweise überdurchschnittlich viel Einkommen für Lebensmittel ausgeben. Gestützt wird der Trend zu höheren Lebensmittelausgaben durch ein wachsendes ethisch-ökologisches Bewusstsein der Kunden. Menschen sind zunehmend gewillt, mehr Geld für die tägliche Nahversorgung auszugeben, wenn die Produkte im Gegenzug höhere Qualitätsstandards wie „Bio“ und „Fair-Trade“ eingehalten werden.

Dass der Einzelhandel für die Zukunft neue Standort- und Flächenkonzepte entwerfen muss, um den Ansprüchen neuer Kundengenerationen gerecht zu werden, gilt daher als ausgemacht. Innovative Store-Konzepte neuer Bauart legen den Fokus daher auf mehr Wohlfühlatmosphäre mithilfe höherwertigerer Store-Designs, mehr Convenience-Angeboten, aber auch veränderter Mobilitätsangebote für den nicht-motorisierten Kunden. Davon profitieren nicht nur sie selbst. Für die Entwickler von Wohnungen bietet die Integration von Nahversorgern die Chance, attraktivere Quartiere zu schaffen, die nicht nur Wohnen, sondern auch andere Funktionen umfassen.

Bei der Planung sollten daher Mixed-Use-Konzepte im Vordergrund stehen, die unterschiedliche Nutzungen innerhalb eines Objekts ermöglichen. Mediales Echo hat besonders die Überbauung der Märkte mit Wohnungen hervorgerufen.

Neben großflächigen Konzepten setzt der innerstädtische Einzelhandel zudem auf immer kleinteiligere Konzepte, die leichter in gemischt genutzte Objekte integriert werden können. Auf scheinbar immer verwinkelteren Grundrissen gelingt es den Nahversorgern, ihre Märkte zu errichten – auch wenn sie den Verkauf aus Platzgründen enger als bisher auf Lebensmittel und Drogerieprodukte zuschneiden müssen. Urbane Konzepte fokussieren sich vorwiegend auf Convenience-Angebote zum Mitnehmen sowie frische Waren aus der Region und bieten seltener Zusatzprodukte wie Unterhaltungstechnik oder Küchen- und Haushaltsgeräte.

Ganz und gar keine Abstriche werden hingegen beim Flächendesign gemacht: Die Kunden erwarten heutzutage optisch ansprechende und moderne Stores, die den Einkauf zu einem Erlebnis machen. Der stationäre Lebensmitteleinzelhandel kann sich so durch attraktives Store-Design bewusst vom Online-Handel abgrenzen. Dabei können auch sogenannte Upgrades und zusätzliche Services wie Salatbars, Backwaren und Kaffeestationen helfen. Mit Zusatzangeboten, beispielsweise Abholboxen oder anderen „Click and Collect-Formaten“, versuchen Nahversorger Kunden in weniger urbanen Gebieten an sich zu binden – so kann der Online-Handel auch zum Multiplikator des stationären Geschäfts werden.

Ganz gleich, ob sich der Kunde sein Gericht „to go“ von der Frischetheke mitnimmt oder seinen Einkauf mit dem Leihlastenrad nach Hause transportiert: Einkaufen ist für viele nicht mehr das „notwendige Übel“ wie einst. Gefragt sind stattdessen Aufenthaltsqualität und andere Mehrwerte beim Einkauf.

Daher braucht es neue und attraktive Konzepte, die die Wünsche der Kunden treffen und auf der Höhe der Zeit sind, um sich erfolgreich in hochverdichteten Innenstadtlagen zu etablieren. Dabei müssen Bestands- und Neubauimmobilien sowie unterschiedlichste Interessen- und Akteursgruppen zusammengedacht werden. Zusätzlich gilt es, Verknüpfungen zwischen Offline- und Online-Handel zu finden, um mit neuen, kreativen Formaten die Kunden auch dauerhaft überzeugen zu können.

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