Mit einem dringenden Appell wendet sich der BFW Landesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen Baden-Württemberg anlässlich seines diesjährigen Neujahrsempfangs in Stuttgart an die Landespolitik und die Kommunen im Land. „Vor dem Hintergrund des dramatischen Rückgangs beim Wohnungs-bau muss alles getan werden, um einen weiteren Absturz der Bautätigkeit zu verhindern“, erklärt der Vorstandsvorsitzende des Verbandes Dirk Graf.
Wirtschaftlicher Realismus von der Politik gefordert Graf fordert „mehr wirtschaftlichem Realismus in den Diskussionen vor Ort“. Auch private Bauherren benötigten bezahlbare Grundstücke, um preiswerten Wohnraum schaffen zu können, so der Vorstandsvorsitzende. Leider komme in der Wohnraumdiskussion der Mittelstand viel zu kurz. Es sei kurzsichtig, wenn nur noch über sozial geförderten Mietwohnungsbau gesprochen werde. Sozial geförderte Wohnungen für die Schwächsten in unserer Gesellschaft seien nötig, allerdings fehlten nicht nur Wohnungen in diesem Segment. Ein starker Wirtschaftsstandort wie Baden-Württemberg benötige Wohnraum für alle gesellschaftlichen Gruppen. „Wer neue Arbeitskräfte in das Land locken will, braucht für den Facharbeiter ebenso Angebote wie für Führungskräfte“, betont Graf.
Angesichts steigender Material- und Energiepreise, sowie der Inflation explodierten die Preise für Doppel- und Reihenhäuser und viele Menschen scheuten den Kauf oder Bau eines Hauses oder einer Wohnung. Statt Eigentum zu erwerben, entschieden sie sich für eine Mietwohnung. „Dadurch steigen die Mieten und es bleibt noch weniger Ein-kommen für eine Baufinanzierung übrig – ein Teufelskreis“, so Graf. „Viele Haushalte, die über gute Einkommen verfügen und sich jetzt gegen eine Eigentumsbildung entscheiden belasten zusätzlich den ohnehin angespannten Mietwohnungsmarkt“, ergänzt Gerald Lipka, Geschäftsführer des BFW Baden-Württemberg.
Massiver Rückgang bei Ein- und Zweifamilienhäusern Steigende Zinsen und hohe Baukosten belasten laut Lipka nicht nur die Kaufinteressenten. „War der Rückgang der Baugenehmigungszahlen im 1. Halbjahr 2022 bundes-weit mit 2,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr noch moderat, so sind die Baugenehmigungszahlen im 3. Quartal 2022 massiv eingebrochen. Die Zahl der genehmigten
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Wohngebäude ging im 3. Quartal 2022 gegenüber dem Vorjahr um 46,73 Prozent zu-rück. Die Zahl der genehmigten Wohnungen um immerhin 7,8 Prozent. Gerade bei Ein- und Zweifamilienhäusern ist der Rückgang massiv“, gab Lipka zu bedenken.
Nach einer internen Umfrage unter BFW Unternehmen erwarteten diese schon im Jahr 2022 einen Rückgang der Fertigstellungszahlen um mehr als 10.000 Wohneinheiten. Die Auswirkungen seien besonders im Jahr 2023, aber auch 2024 spürbar. Nach der Umfrage erwarten die befragten Unternehmen 2023 einen Einbruch um bundesweit 87.000 Wohneinheiten, für das Jahr 2024 um weitere 69.000 Wohneinheiten. Im 2. Halbjahr 2022 haben die befragten Unternehmen bei der Vermarktung von fertig ge-stellten Neubauten einen Einbruch um 73 Prozent wahrgenommen. „Werden jedoch keine fertiggestellten Objekte verkauft, so werden auch keine neuen Projekte mehr ge-startet“, unterstreicht Lipka.
Gerade für die im BFW organisierten Bauträger und Projektentwickler, die im Einzel-vertrieb Wohnungen oder Häuser verkauften, beeinträchtige die Kostenentwicklung massiv ihre Geschäftstätigkeit. Gegenüber ihren Endkunden müssten sie sich schon früh auf einen verbindlichen Kaufpreis festlegen, was bei der volatilen Baukostenentwicklung zu einem existenziell bedrohlichen Risiko werden könne. „Wird der Endpreis zu niedrig kalkuliert, drohen Verluste, falls die Herstellungskosten den angebotenen Preis übersteigen. Werden hohe Risikoaufschläge kalkuliert, akzeptiert der Kunde den Angebotspreis nicht“, verweist Graf auf das Dilemma. Viele Mitgliedsunternehmen des BFW hätten deshalb ihre Grundstücksankäufe eingestellt und versuchen vermehrt nur bereits begonnene Projekte fertigzustellen. Neue Projekte würden kaum noch in Angriff genommen.
Gezielte Anreize sollen zu Investitionen in den Wohnungsbau ermutigen Deswegen seien jetzt konkrete Schritte seitens Politik und Kommunen erforderlich. So benötigten junge Familien eine Förderung, die den gestiegenen Preisen angepasst sei. Außerdem solle das Land Baden-Württemberg den Plan der Bundesregierung unter-stützen, Ersterwerber von Eigentum von der Grunderwerbsteuer ganz oder teilweise zu befreien. „Zumindest eine Stundung der Grunderwerbsteuer für junge Familien sollte ernsthaft geprüft werden“, schlagen Graf und Lipka vor. Möglicherweise könne auch die Zinsbelastung von jungen Eigentumserwerbern steuerlich berücksichtigt werden. Zinsvergünstigte Darlehen für den Eigentumserwerb wären eine weitere Möglichkeit, da sich das Einkommen nicht in Relation mit den Kaufpreisen entwickelt und sich selbst beim Doppeleinkommen und ohne Kinder ein Immobilienkauf oft nicht mehr finanzieren lasse. Bei Investitionen in Mietwohnungen sei die steuerliche Berücksichtigung möglich. Eine entsprechende Bundesinitiative des Landes für Wohneigentum wäre sinnvoll.
Gerade Baden-Württemberg könne für die Wohnraumversorgung nicht auf Investitionen privater Haushalte verzichten. So seien 2021 und 2022 rund 63 Prozent aller Investitionen in den Wohnungsbau von privaten Haushalten getätigt worden. Hier müsse die Politik Anreize schaffen, damit Privatinvestoren auch weiterhin in den
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Wohnungsbau investierten. Hinzu komme, dass inzwischen andere Kapitalanlagen attraktiver seien als Immobilien.
Fachkompetenz am Bau muss erhalten bleiben Fallen dauerhaft private Investoren beim Wohnungsbau aus, so werde es am Ende auch zu Personalabbau am Bau kommen. Bereits heute fehle Fachpersonal. Wandere durch gesunkene Aufträge weiteres Personal in andere Branchen ab könne dies zu einem verstärkten Fachkräftemangel in der Bauwirtschaft führen. Wenn die Konjunktur wieder anspringe, fehle dieses Personal, um die Kapazitäten schnell hochzufahren. Bereits 2022 hätten 17 Prozent der befragten Mitgliedsunternehmen des BFW als Reaktion auf die wirtschaftliche Lage Personal abgebaut. 42 Prozent würden bei anhaltend schlechten Marktbedingungen in diesem Jahr, spätestens jedoch 2024, Personal abbauen müssen. In der Folge würden damit auch die Aufträge bei Handwerk und Baugewerbe deutlich zurückgehen.
„Es führt kein Weg daran vorbei, dass die Baukosten sich stabilisieren und die gesetzlichen Rahmenbedingungen stabil bleiben müssen, um sicher planen zu können“, schließen Graf und Lipka.
- Gerald Lipka, Geschäftsführer des BFW Landesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen Baden-Württemberg e.V.
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